Alfons Schuhbeck zum kulinarischen Erbe Bayerns

Köstlich Bayerisch

Dass auf bayerischen mittagstischen nur schweinebraten, schweins-haxen und leberkäse aufgetischt werden, ist ein klischee. die bayerische küche ist zwar traditionell geprägt, doch gehen auch die köche zwischen garmisch und coburg mit der zeit und den kulinarischen trends.
keiner weiss das besser als der vermutlich populärste koch deutschlands – der oberbayer alfons schuhbeck. im gespräch mit das erbe unserer welt erörtert der starkoch werdegang, perspektiven und besonderheiten der weiss-blauen-gastronomie – und würzt die ausführungen mit seinem berühmten charme. kein wunder, dass das schuhbeck-team auch bei der bis oktober dauernden landesausstellung „bier in bayern“ im kloster asbach (landkreis passau) für traditionell-köstliche kulinarik sorgt

text Gunther Matejka

Herzhaft, angenehm deftig, so urwüchsig wie bayerische Wesensart und Lebensfreude. Sie tischt auch das schöne Gefühl der Bayern auf, mit sich selbst und ihrer Lebenswelt im Reinen zu sein.
Sie entwickelte sich wie alle Küchen in Agrarländern mit rauem Klima als bodenständige, rustikale Küche, geprägt von Schweinen, Kartoffeln, Kraut (Weiß- und Rotkohl) und Rüben sowie Mehl, Milch und Käse, Geflügel und Eiern. Typisch für ganz Bayern wurden Verarbeitung und Verzehr (möglichst) aller Teile eines Tieres. Man aß wie selbstverständlich gebackenen Kalbskopf, gebratenes Hirn, gefüllte Kalbsbrust, saures Lüngerl, Milzwurst, Sülzen aus Schweins- und Kalbsfuß oder Presssack.
Ich kann mir einen provenzalischen Gemüseteller vorstellen, kenne aber auf der ganzen Welt keine regional geprägte vegetarische Küche. Ich glaube nicht, dass Radi, Radieserlsalat oder Schwammerlstrudel die Menschheit um einen weißblauen Vegetarismus bereichern können.
Die Deftigkeit wurde ins Delikate erhoben. Wirtshäuser pflegen dabei die herzhafte, Gourmetrestaurants die kochkünstlerische Variante. Die Speisekarten wurden weltoffener, die Rezepte gewürzreicher und die Zubereitungen leichter und damit bekömmlicher.
Ich würde historisch zwischen Altbaiern, Franken und Bayerisch Schwaben (Allgäu) unterscheiden. Knödel wurden in Altbaiern mit Semmeln, in Franken mit Kartoffeln oder Mehl gemacht und im Allgäu durch Spätzle und Schupfnudeln ersetzt. München tat Kalb in die Weißwurst, Franken kultivierte eine Bratwurst-Vielfalt (typisch mit Majoran) und Saure Zipfel aus Schwein, der Allgäu den Zwiebelrostbraten. Auch im süßen Leben unterschieden sich die Regionen: München entwickelte die Prinzregententorte, Franken die Nürnberger Lebkuchen sowie Früchtebrot und das Allgäu den Zwetschgendatschi aus Hefeteig.
Altbaiern öffnete sich durch die höfische Ausstrahlung der Wittelsbacher zuerst der Verfeinerung der Küche sowie den Einflüssen Österreichs und Böhmens sowie des prägenden Frankreichs. So kamen Knödel, Strudel und Mehlspeisen sowie Bœuf à la mode als Böfflamott und Ragouts ins Land und wurde das relativ reiche München auch die bayerische Hochburg für Kalbfleisch.
Weltbekannte Klassiker sind gewiss Schweinsbraten mit Knödeln, Nürnberger Rostbratwürste auf Kraut, Weißwürste mit süßem Senf, warmer Leberkäse mit Brez’n, Rindfleischsuppen mit Leberknödel oder Obatzter (würzig angemachter Camembert). Und nicht weniger her machen die fränkischen Karpfen (nur frisch gefangene biegen sich beim Backen), der Pichelsteiner Eintopf, die Allgäuer Lämmer und allerorten die gepflegten Brotzeiten im Wirtshaus.
Generell gilt auch bei uns: Erlaubt ist, was gefällt. Aber genauso generell schmeckt uns Bayern das Herzhafte besser als das Verkünstelte und gehört zur Heimatverbundenheit, dass ein Bayer auf seinem Teller nicht das erwartet, was die Importeure von Getreide aus Südamerika, Zuchtkrebsen aus Australien oder fermentiertem Knoblauch aus Asien als Trend anpreisen. Und die Mode, die Sauce nur auf den Teller zu tupfen, geht sicher nicht ins bayerische Brauchtum ein.
Wenn ein Jux erlaubt ist: Daran, dass die Bratendüfte den Magen direkt ins Herz treffen. Ansonsten sicherlich an appetitlichen Brotzeiten.
Beim Kombinieren wäre ich sehr vorsichtig, denn der Trachtenhut steht nicht jedem zum Kimono, eine Gucci-Handtasche passt nicht zu jedem Dirndl. Jede international bekannt gewordene Küche entstammt ja einem Kulturkreis, und Kulturen lassen sich nicht leicht oder gar beliebig vermischen. Bayrische Sushi finde ich genauso komisch wie Japaner in Lederhosen.

Doch dass Gewürze aus jenen Aromenwelten, die der Ferntourismus erschlossen hat, in unsere heutige Küche einfließen, ist selbstverständlich und macht Sinn, wenn es nicht krampfhaft, sondern stimmig geschieht. Was spricht dagegen, wenn ein Schweinsbraten mal durch Ingwer eine neue reizvolle Geschmacksnote bekommt und auch noch bekömmlicher wird? Oder eine Kalbshaxe mit Kräuter-Salsa beträufelt und eine Bauernentenbrust in orientalischer Gewürzbutter geschwenkt wird?

Das galt zu einer Zeit, als die morgens frisch gemachten Weißwürste (wegen hygienischer Probleme) nicht lange bis zum Aufbrühen kurz vorm Verzehr lagern konnten.

So Schmeckt Bayern

Bodenständig, schmackhaft, nahrhaft – und abwechslungsreicher, als man vielleicht glauben möchte. Die bayerische Brotzeit hat einige Köstlichkeiten zu bieten. Wir präsentieren die Top 10 der weiß-blauen Speisekarte.

LEBERKNÖDEL

Leberknödelsuppe findet sich auf jeder bayerischen, österreichischen und tschechischen Speisekarte. Wie es der Name besagt, wird Leber – meist vom Rind – durch einen Fleischwolf gedreht, mit Brötchen, Ei, Petersilie und weiteren Gewürzen zu Knödeln geformt und dann in einer Brühe gegart. Lecker!

OBATZDA

Obatzda (steht für „Angedrückter“, „Vermischter“) ist ein Biergarten- und Volksfest-Klassiker und die ideale Brotzeit für Zwischendurch. Die Zubereitung ist einfach: Camembert oder anderen pikanten Weichkäse mit Butter, Rahm und fein gehackten Zwiebeln zur streichfähigen Masse zerdrücken und mit Schnittlauch bestreuen. Perfekt zu Schwarzbrot und Brezen.

RADIESCHEN

Rote Radieserl sind nicht nur ein dekoratives Element auf dem bayerischen Brotzeitteller – die kleinen geschmacksintensiven Knollen harmonieren mit ihrem scharfen Geschmack herrlich zu Käse, Wurst und Obatzda. Und gesund sind sie auch noch!

FLEISCHPFLANZERL

Typisch bayerisch ist vor allem der Name. Denn Fleischpflanzerl sind im Grunde nichts anderes als Frikadellen, Buletten oder Hamburger – also: Hackfleisch, das mit Ei, Zwiebeln und Paniermehl vermengt wird. Gut gewürzt kommen die flachen, handtellergroßen Pflanzerl in die Bratpfanne, wo sie in heißem Fett knusprig angebraten werden.

REIBERDATSCHI

Der bayerische Reiberdatschi ist nichts anderes als der hochdeutsche Kartoffelpuffer. Also ein Reibe-kuchen aus Kartoffeln, Ei und Mehl, gewürzt mit Salz und Muskat und im heißen Fett zu Fladen ausgebacken. In Kombination mit Apfelmus ein Gedicht!

APFELSTRUDEL

Der Apfelstrudel ist der Klassiker unter den bayerischen Mehlspeisen. Daher findet man auch keine Ski- oder Wanderhütte, die den mit Apfelstückchen, Rosinen, Zimt und Kristallzucker gehaltvoll versehenen Strudelteig nicht auf der Speisekarte hätte.

BREZE

Grundnahrungsmittel, goldbraune Schönheit, knuspriges Kultobjekt – für Bayern ist ein Leben ohne Breze zwar möglich, aber – frei nach Loriot – sinnlos. Doch Breze ist nicht Breze. Die Unterschiede sind, je nach Bäcker, gravierend. Zumindest für den geschulten bayerischen Gaumen.

SENF

Im Jahr 1910 gründeten Metzgermeister Karl Händlmaier und seine Frau Johanna eine Metzgerei in Regensburg. 1914 entwickelte Johanna
Händlmaier die Rezeptur ihres „süßen Hausmachersenf“, der in Bayern vor allem die Weißwurst begleitet und bis heute Bayerns beliebtester Senf ist.

WEISSWURST

Kein anderes Lebensmittel steht so beispielhaft für die bayerische Küche wie die Weißwurst. Schon der Verzehr der Kalbfleisch-Brühwürste ist eine kleine Kunst, die versierten Umgang mit Messer und Gabel erfordert. Einmal abgepellt verspricht die Weißwurst – gemeinsam mit süßem Senf und frischer Breze – allerdings ein kulinarisches Vergnügen.

BOVESEN

Eine Süßspeise mit Stammbaum: Die Bovesen – mit Milch, Eiern, Zucker und Vanille gebackene Brötchen – haben ihren Ursprung im römischen Reich. Daran erinnert auch der Name: Bovese ist von „Pavese“, dem Ritterschild aus Pavia, abgeleitet.

„Die Mode, die Sauce nur auf den Teller zu tupfen, geht sicher nicht ins bayerische Brauchtum ein“
Alfons Schuhbeck

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Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Frühling 2016

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