Als die Ente fliegen lernte
Vor gut 100 Jahren gelang Henri Fabre der erste Flug mit einem Wasserflugzeug. Der Pionier begründete eine lange Reihe spezialisierter Flugzeuge
text von Cherry Maslen
1967 widmete Juri Gagarin eine Gedenkstätte im französischen Martigues einem weiteren Pionier, der erfolgreich der Schwerkraft trotzte, und zwar mehr als 50 Jahre bevor der russische Kosmonaut Juri Gagarin der erste Mensch im Weltraum wurde. Im Gegensatz zu Gagarin erreichte Henri Fabre zwar nur ein paar Meter Höhe, dennoch war es ein Schlüsselmoment in der Luftfahrt, als sein auf den Namen Hydravion getauftes Wasserflugzeug in der Bucht Étang de Berre am 28. März 1910 die Meeresoberfläche verließ.
Der 1882 als Sohn einer Schiffsbauerfamilie in Marseille geborene Fabre war ausgebildeter Schiffsingenieur mit einer Leidenschaft für die Luftfahrt. Die von ihm konzipierte und erbaute Hydravion bestand aus Sperrholz-Schwimmern, einem Eschenholz-Gerippe, einem 7-Zylinder-Stern-Umlaufmotor mit 50 PS und einem Druckpropeller am Heck der Maschine. Das acht Meter lange Flugzeug trug den Spitznamen Le Canard – „die Ente“ – obwohl es mit einer Flügelspannweite von mehr als 13 Metern eher wie eine riesige Libelle aussah.
Beim Jungfernflug an jenem Tag im März saß Fabre rittlings auf dem oberen Rumpfbalken seines 500-kg-Flugapparats und schaffte es mehrmals, über eine Distanz von etwa einem halben Kilometer, einige Meter zwischen sich und die Wasseroberfläche zu bringen.
In den folgenden Wochen setzte er seine Testflüge fort, bis sein Wasserflugzeug im Mai im Mittelmeer abstürzte. Fabre blieb unverletzt, aber die Hydravion wurde stark beschädigt. Heute ist die restaurierte „Ente“ im Luft- und Raumfahrttechnik-Museum Musee de l’Air et de l’Espace in Paris zu besichtigen.
Später nutzten Gabriel und Charles Voisin die von Fabre patentierte Schwimmerkonstruktion für den Umbau ihres Landflugzeugs Voisin Canard zur Marine-variante. Auch der US-Luftfahrtpionier Glenn Curtiss profitierte bei seinem ersten erfolgreichen Flug mit einem Wasserflugzeug 1911 von Fabres Wissen.
Während des Ersten Weltkrieges setzte die britische Royal Navy bei der Suche nach deutschen U-Booten häufig ein auf der Originalkonstruktion von Glenn Curtiss basierendes und vom irischen Flugzeugkonstrukteur John Cyril Porte weiterentwickeltes Flugboot ein. Curtiss entwickelte Modelle für die US Navy und die russischen Seefliegerkräfte, während das britisch-französische Unternehmen Franco-British Aviation Company die alliierten Streitkräfte mit 1.000 Wasserflugzeugen für Aufklärungsmissionen über der Nordsee, dem Atlantik und dem Mittelmeer unterstützte.
In Deutschland baute der Flugzeughersteller Hansa-Brandenburg die W.12, ein zweisitziges Wasserflugzeug für das Militär, welches der legendäre Kampfpilot Friedrich Christiansen häufig flog.
Zwischen den Kriegen sorgte das schnelle Wachstum der Luftfahrt dafür, dass Wasserflugzeuge als Beförderungsmittel für Langstreckentransporte zum Einsatz kamen und neue Flugstrecken nach Afrika, Asien und Südamerika erschlossen wurden. Darüber hinaus gab es regelmäßige Transatlantik-Flüge zwischen den USA und Irland.
Auch im Zweiten Weltkrieg spielten Wasserflugzeuge eine wichtige Rolle: von der U-Jagd bis zur Rettung von abgeschossenen Piloten. Das deutsche Flugboot Blohm & Voss BV 238 war das größte Luftfahrzeug der Achsenmächte.
Die Zunahme von Flugplätzen sowie die gegenüber den neuen Düsenmaschinen geringe aerodynamische Effizienz, Geschwindigkeit und Reichweite der Wasserflugzeuge führte nach dem Krieg zu einem starken Rückgang in ihrer Herstellung und Nutzung. Dennoch führten sie weiterhin eine Reihe von wichtigen Spezialaufgaben von der Luft-See-Rettung bis hin zur Bekämpfung von Waldbränden aus. Auch für den Einsatz in abgelegenen Gebieten und auf Inselgruppen blieben sie weiterhin beliebt.
1990 umflog der amerikanische Pilot Tom Casey mit seinem Wasserflugzeug Liberty II, einer Cessna 206, als Erster die Erde und beschränkte sich dabei ausschließlich auf Starts und Landungen auf dem Wasser. Es hätte den nur sechs Jahre zuvor im stolzen Alter von 101 Jahren gestorbenen Henri Fabre sicher gefreut, dass sein Pioniergeist weiterlebt.