Die Gebäude

Des Jean Nouvel

Der Gewinner des renommierten Pritzker-Architekturpreises 2008, Jean Nouvel – der von der Jury für „seine mutige Verfolgung neuer Ideen und der Herausforderung etablierter Normen“ gewürdigt wurde – ist Frankreichs führender Architekt. In seiner Laufbahn hat er in vier Jahrzehnten das Institut du Monde Arabe, die Fondation Cartier und das Musée de quai Branly in Paris, den TORRE AGBAR in Barcelona und das gigantische neue Louvre Abu Dhabi Museum in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie unzählige Einrichtungen, Wohnhäuser, Büros und Hotels entworfen
interview Anna Sansom  foto Peter Marlow/Magnum Photos

TORRE AGBAR – BARCELONA, 2005

Nouvel vergleicht die aufwärts strebende Farbenvielfalt des Hochhauses mit einer Wasserfontäne. Das Gebäude beherbergt die Hauptverwaltung der Agbargruppe, die die städtischen Wasserwerke Aigües de Barcelona betreibt. „Der Bau nimmt das Thema anderer Architekten wie Lluis Domènech und Gaudí wieder auf, die von der Spitze des Montserrat inspiriert waren und typisch für die katalanische Identität sind“, erklärt Nouvel. „Die Farben sind die der Erde und weiter oben, die des Himmels.“
Momentan ist der Torre Agbar mit seinen 142 Metern das höchste Gebäude in Barcelona. Ganz nach Lichteinfall verändert der Turm seine Farben. Dafür sorgen 40 verschiedene Lackfarben, die das Licht unterschiedlich reflektieren. Verstärkt wird dieser Effekt durch tausende Glaslamellen vor der eigentlichen Fassade. Bjanka Kadic; Beatriz Poncet.

Jean Nouvel glaubt fest an kontextgebundene Architektur, die achtsam mit der ansässigen Kultur, Geschichte und Geografie umgeht: „Ich bin gegen alles, was mit Klonen zu tun hat, Gebäude, die vorgefertigt und hineinkatapultiert sind, wie die Shopping Malls, die weltweit gleich aussehen,“ erklärt er. „Ich glaube an die Architektur der Situation, bei der jedes Projekt ein Abenteuer ist. Kontextualität bedeutet, die historische und geografische Dimension offenlegend, ein Gebäude mit hoher Spezifität zu schaffen, stets auf der Suche nach Einzigartigkeit.“

„Ich glaube an die Architektur der Situation, bei der jedes Projekt ein Abenteuer ist.“
Jean Nouvel

Er wird manchmal Frankreichs „Anstalts-Architekt“ genannt, aber ob es das Insitut du Monde Arabe (IMA), das Musée du Quai Branly-Jaque Cirac oder die Philharmonie Paris ist – der gemeinsame Nenner seiner Arbeiten zeigt sich darin, wie er die Landschaft verwandelt und die Identität eines Bauprojekts herausarbeitet. Dies trifft gleichsam auf seinen Ansatz für zwei große Museen im Mittleren Osten zu: Der Louvre Abu Dhabi, der 2017 eröffnet werden soll, und das Nationalmuseum Katar, das für 2018 geplant ist. Viele der Projekte verbindet auch eine künstlerische Sensibilität für Oberflächengestaltung.

Jean Nouvel wurde 1945 als Sohn eines Lehrerpaares in Fumel im Südwesten Frankreichs geboren. Er schloss 1972 sein Architekturstudium an der renommierten École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris ab. Noch während des Studiums arbeitete er für die innovativen Architekten Claude Parent und Paul Virilio, deren „schräge Architektur“ eine Entwicklung weg von der Horizontalen und Vertikalen, hin zu Räumen, die von Neigungen und Rampen definiert werden, verfocht. Nouvel gibt zu, dass er seinen Mentoren immer noch „sehr zugetan“ ist. „Sie werden immer einen Einfluss auf mich ausüben. Sie haben mir beigebracht, was es bedeutet ein Architekt zu sein und wie man Architektur aus Ideen entwickelt.

„Für mich ist Architektur alles – nur keine kapriziöse Laune.“
Jean Nouvel

FONDATION CARTIER – PARIS, 1994

Dieses zu Cartier gehörende Zentrum der modernen Kunst beherbergt zeitgenössische Ausstellungen. Seine Glasfassaden sind länger als das Gebäude selbst, welches an einem baumbeschatteten Boulevard steht und auf der Rückseite einen Garten hat. „Dieses Gebäude stammt aus einer Phase, in der ich mit dem spielte, was ich Durch-Sicht nenne – durchsichtige Erscheinungen, aber mit Reflektionen, die das Glas sichtbar machen. Man hat den Eindruck, in einer großen Landschaft zu sein, obwohl das Grundstück eher klein ist,“ erklärt Nouvel.

Im Alter von 36 Jahren gewann Nouvel den Zuschlag für das Gebäude des Institut du Monde Arabe, dessen Bau 1987 abgeschlossen wurde und ihm zu internationalem Ansehen verhalf. In den späten 80ern stellte er ein Hochhaus vor, das Europas höchstes Gebäude hätte werden sollen, der Tour Sans Fin (Turm ohne Ende) für das La Défense Geschäftszentrum westlich von Paris. Es war so konzipiert, dass es schien, als ob der Turm aus der Sicht verschwände, je mehr er mit dem Himmel verschmolz. Das Hochhaus wurde nie realisiert, aber sein Wunsch, Erscheinungen miteinander zu verwischen, beeinflusste andere Projekte. So spielte Nouvel beim Bau der Fondation Cartier in Paris, dem KKL Luzern und dem Konzerthaus in Kopenhagen mit Spiegelungen. Auch beim Nationalen Kunstmuseum Chinas (im Bau) erleben wir die Struktur als vom Boden gelöst, während Spiegelungen der Natur mit einbezogen werden.
Weit davon entfernt, sich allein auf kulturelle Projekte festzulegen, hat Nouvel zahlreiche Wohnhäuser und Bürogebäude entworfen. Da gibt es z.B. den farbenfrohen Torre Agbar in Barcelona, der das Licht spiegelt und gleichzeitig bricht, oder One Central Park in Sidney, bestehend aus zwei Wohntürmen, deren halbe Fassade dank der Zusammenarbeit mit dem französischen Botaniker Patrick Blanc wie eine „vertikale Landschaft“ gestaltet ist.

LOUVRE ABU DHABI – ABU DHABI [ERÖFFNUNG 2017]

„Es ist ein außergewöhnliches Projekt für ein Land, das in seinem Goldenen Zeitalter ist und von großen Monumenten träumt und seine Identität sucht – deshalb wollte ich, dass das Gebäude grundsätzlich arabisch ist. Wir ließen das Wasser hinein, Lichtstrahlen fallen auf unterschiedliche Gebäude und ein Spiel mit Wasser- oder Marmorspuren entsteht. Das Museum vergleicht Objekte aus allen Zivilisationen der Erde in unterschiedlichen Epochen – das Konzept wird Aufmerksamkeit erregen und seine Nachahmer finden.“ Eden Breitz / Alamy Stock Photo; TDIC, Design, Atliers Jean Nouvel

In der Mache ist ein superhoher Wolkenkratzer mit Luxusappartements, 53W53, in der Mitte Manhattans, gegenüber vom Museum of Modern Art. Er wird drei Stockwerke für die erweiterte Ausstellung der MoMA bereitstellen. Obwohl er sonst gegen die Globalisierung ist, hat Nouvel seinen kontextspezifischen Ansatz  wie selbstverständlich weltweit exportiert.

„Normalerweise mache ich etwas, weil ich die Notwendigkeit dazu verspüre.“
Jean Nouvel

Nouvel hat auch eine erfolgreiche Karriere als Produkt Designer hinter sich. Seit 1987 hat er über 100 Objekte entworfen. In dem Jahr entwarf er fünf Prototypen für VIA aus Aluminium, was damals eine Gegenkultur zu den Materialen darstellte, die bis dato im Design verwendet wurden. Seine Objekte zeichnen sich durch ihre Funktionalität und Präzision aus. Er sagt dazu: „Normalerweise mache ich etwas, weil ich die Notwendigkeit dazu verspüre, weil ich es nirgends finden konnte, oder genau das Gegenteil –  ich habe es überall gefunden, wo ich auch hinblickte; aber es war zu kompliziert, zu aggressiv, aber gleichzeitig nicht präzise genug.“
jeannouvel.com

MUSÉE DU QUAI BRANLY-JACQUES CHIRA – PARIS, 2006

Das Ziel des ehemaligen Präsidenten Jaques Chirac war es, ein nationales Museum zu erbauen, in dem 300.000 Exponate aus dem nicht-europäischen Kunst-und Kulturkreis ausgestellt werden könnten. „Mein Vorschlag war, das Gebäude auf Stelzen zu errichten, mit einem großen Garten, der darunter liegt“, sagt Nouvel. „Es würde Objekten aus anderen Zivilisationen in einer nicht-horizontalen Weise entgegen kommen, entsprechend anderen Sprachen. Wir haben Aborigine-Künstler gebeten, eine der Fassaden zu gestalten.“

INSTITUT DU MONDE ARABE – PARIS, 1987

„Es war wichtig dem Thema der arabischen Architektur Anerkennung zu zollen – Geometrie, Linearität und die Art und Weise, wie Architektur vom Licht bedingt wird,“  sagt Nouvel. Die  Muster an der Südwand erinnern an islamische Muster und haben Öffnungen,
die die Intensität des Sonnenlichts kontrollieren, das in das Gebäude eintritt. Iain Masterton

KKL LUZERN (KULTUR- UND KONGRESSZENTRUM) – LUZERN, SCHWEIZ. 1998

Die Lage am Vierwaldstätter See, Luzern, inspirierte Nouvel ursprünglich dazu, eine Konzerthalle in der Form eines Schiffes bauen zu wollen. „Es war nicht möglich, weil in der Schweiz alles in einem Referendum abgestimmt werden muss und die Schweizer sagten `“Nein“ zu der Idee auf Wasser zu bauen,“ erinnert sich Nouvel. Seine Lösung war, die drei Gebäude – Konzerthalle, Stadthalle und Kongresshalle (welche das Luzerner Kunstmuseum beherbergt) – unter einem riesigen Dach zu bauen und das Wasser des Sees zwischen den Gebäuden hindurch fließen zu lassen.
© KKL Luzern, Switzerland

Art & Design Atomium Museum ADAM – Brüssel, 2015

Im Art & Design Atomium Museum ADAM, für das Jean Nouvel den Eingangbereich entwarf, ist zeitgenössische Kunst und aktuelles Design für alle erlebbar. Vor allem die spannende Dauerausstellung des Plasticariums bietet anhand ihrer Kunststoffgegenstände einen originellen Blick auf Designgeschichte, Geschmäcker und Ideen für den Zeitraum von 1960 bis zum heutigen Tag. Bei den rund 2.000 Exponaten handelt es sich um Alltagsgegenstände, die zu Ikonen ihrer Epochen geworden sind – oder es sicher noch werden. Die Gegenstände der Sammlung ermöglichen es dem Betrachter, gleichermaßen mit seiner nahen oder entfernteren Vergangenheit in Verbindung treten, um zu ursprünglichen Eindrücken zurückzufinden. Er erkennt darin, dass diese Gegenstände ebenso ein Spiegelbild unserer persönlichen Geschichte sind, wie auch das der Epoche, die sie hervorgebracht hat. adamuseum.be SABAM 2016 – BG Photography – LeSoir – Garcia Charneux

Produktdesign von Jean Nouvel

ARTEMIDE OBJECTIVE TISCHLEUCHTE

Der Zylinder mit einer Höhe von 372 mm, zerfällt in vier Teile, jedes Teil mit seiner eigenen Bewegung und Funktion: Ein Fußteil, ein Glassegment, ein erster Kopf, ein zweiter Kopf. Drei verschiedene Segmente bringen drei verschiedene Lichtquellen hervor, um Objekte in unterschiedlicher Entfernung zu beleuchten.
artemide.com

OLIVARI CHELSEA TÜRGRIFF

„Türdrücker sind häufig eckig, kalt und unangenehm anzufassen. Ich suche immer nach Türgriffen, die eine Identität haben, eine runde Form etwa und eine angenehme Haptik. Ein Türgriff ist ein Detail, das einem Ort Tiefe verleiht.“
olivari.it

SAWAYA & MORONI INOX TISCH

Ein verstellbarer Edelstahltisch, dessen obere und untere Teile mit dickem Aluminium verstärkt sind. Ausgestattet mit zwei Zusatzbeinen, die unter der Platte verstaut sind, lässt er sich leicht in einen hohen oder niedrigen Tisch verwandeln.

EMU MIA STUHL

Klare Linien sind das Kennzeichen der strapazierfähigen Mia-Serie, die für maximale Funktionalität entwickelt wurde. Die Stühle bestehen aus einem leichten Stahlrohrrahmen, während Sitz und Rücken aus lasergeschnittenem Aluminium gefertigt sind.

„ESSENCES“ TISCH, ERIC ROUCHON

Derselbe Tisch, dieselben Proportionen, aber hergestellt aus sieben verschiedenen Holzsorten aus dem Périgord, wodurch das Bewusstsein für die Unterschiede zwischen den Hölzern geweckt wird. Kleine Truhen und stapelbare Kisten ergänzen die Tische harmonisch.

MARTELL AMBER LAMPE

Licht, das mit einem Teleskopstab durch Glas projiziert konzentrische farbige Ringe über den Boden wirft, dabei die Bewegung von Cognac in einem Schwenker evozierend

AMADEUS „PHILHARMONIA“  LAUTSPRECHER

In Zusammenarbeit mit Michel Deluc, Direktor der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Amadeus, entwarf Jean Nouvel diese Lautsprecher. Sie sind ursprünglich speziell für die Aufnahmestudios der Philharmonie de Paris entwickelt worden, um die Konzerte des Symphonieorchesters festzuhalten. Sie zeichnen sich durch eine sowohl einfache als auch komplexe geschwungene Struktur aus, die aus 547 Holzfurnieren besteht, die präzise bearbeitet und zusammengesetzt, ein einzigartiges Aussehen und hervorragende Klangeigenschaften bieten. Die Lautsprecher sind mittlerweile auch für die Verwendung zu Hause erhältlich.
philharmonia.paris
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Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Winter 2016

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