Die Welt des Phillipe Starck

In seiner 50-jährigen Laufbahn hat Philippe Starck für seinen Einfluss auf unsere Lebensweise internationale Anerkennung erhalten. Er erfindet alltägliche und bekannte Objekte auf erstaunliche und amüsante Weise neu und entwirft das Design für alle möglichen Dinge, von Zahnbürsten und Jachten über Motorräder bis hin zu Gebäuden. „Für Kreativität entscheidest du dich nicht – sie entscheidet sich für dich – und meinem Schaffen lasse ich freien Lauf“, so der Titan der Designwelt, der diese Bemerkung jedoch um eine wichtige Aussage ergänzt: „Es ist an der Zeit, dass wir weniger produzieren und konsumieren, umweltbewusster agieren und mehr soziale Verantwortung übernehmen. Aktuell braucht es mehr
Köpfchen, nicht mehr Stühle“ 

Interview: Deirdre Vine

Ich sitze auf einem glänzenden Hocker in Philippe Starcks stylishen weißen Studio im mondänen 16. Arrondissement in Paris, als der berühmteste Designer der Welt hereinkommt. Schlagartig liegt eine Dynamik in der Luft. Als er seine Teammitglieder begrüßt, wird ihre Sympathie für ihn deutlich. Starck umgibt eine bärenhafte Aura. Er ist gelassen, er lächelt. Er wirkt entspannt und sieht erheblich jünger aus als 69. Ganz sicher wirkt er nicht wie jemand, der sich von hundert oder mehr komplexen Projekten aus der Ruhe bringen lässt, was auch gut so ist. Denn zusammen mit seinem Back-Katalog und seinen noch in der Schaffungsphase befindlichen Projekten hat er über 10.000 Werke entworfen. Er ist der perfekte Designer, hat aber immer darauf bestanden, dass die Zweckmäßigkeit von Objekten Vorrang vor ihrem Aussehen hat. Die Dinge sollen das Leben möglichst vieler Menschen verbessern.

Starck glaubt auch, dass Designer sich nicht einfach nur etwas Neues einfallen lassen müssen. Vor 20 Jahren sagte er: „Es muss darüber hinaus gehen. Eine gute Idee, die technologisch fortgeschritten ist, um das Leben des Nutzers zu verbessern, darf nicht unsere Umwelt schädigen und sollte minimalistisch ausgerichtet sein.“ Er wurde zum Verfechter des Umweltschutzes, lange bevor dieser in Mode kam.

Sein Interesse wurde von einer zufälligen Begegnung geweckt: „Ich befand mich fast ganz allein auf einer kleinen Insel im Mittelmeer. Außer mir war nur noch ein Ausländer dort, ein großer Amerikaner mit Oberlehrerbrille, der mir sagte, er sei Ökologe. Das ist über 50 Jahre her, und ich hatte noch nie von einem Ökologen gehört. Er erklärte mir seine Arbeit, und der Umweltschutzgedanke gefiel mir, da er auf Fakten beruhte. Danach belas ich mich zur ökologischen Bewegung und wurde Teil von ihr. Das war später von Vorteil, da es mir half, nicht in Fallen zu tappen. Ich weiß noch, wie schockiert ich war, als der Ökologie-Trend vor 20 Jahren begann, und die Menschen sagten: ‚Wir wollen jetzt nichts mehr aus Kunststoff, wir wollen Leder und Holz. Das war lächerlich, da es bedeutete, dass Tiere und Bäume dafür sterben mussten.“

1996 trieben Umweltprobleme die Markteinführung seines vom französischen Versandunternehmen La Redoute veröffentlichten „Good Goods“-Katalogs und seine Firma für organische Lebensmittel OAO weiter voran, die beide ihrer Zeit weit voraus waren. Mit Windturbinen für Privathaushalte, intelligenten Thermostaten und erschwingbaren Solarpaneelen setzte Starck sein Konzept der „demokratischen Ökologie“ um; 2010 kam das umweltfreundliche Elektroauto V+ Volteis auf den Markt, zusammen mit Möbeln wie dem aus recycelten Propylen und wiedergewonnenen Holzfasern hergestellte Broom-Stuhl für Emeco.

Als ewiger Vorreiter baute er 1992 mit 3Suisses das erste umweltfreundliche Fertig-Holzhaus und hat nun mit seinen P.A.T.H.-Energiehäusern in Fertigbauweise (Abkürzung für Prefabricated Accessible Technological Homes) individuell anpassbare, vorgefertigte Hightech-Domizile für den breiten Markt entworfen, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen.

Auch wenn er kreative Lösungen für ökologische Herausforderungen gutheißt, hat er die böse Ahnung, dass die Welt bei den akuten Problemen, die wir zum Schutz der Zukunft von Mensch und Natur zu bewältigen haben, auf ein Kollektivversagen zusteuert. „Wenn es uns ernst ist damit, irreversiblen Schaden zu vermeiden und alles für die nächste Generation zu ändern, dann führt hier nur eins zum Ziel: weniger Konsum“, erklärt er leidenschaftlich. „Wir konsumieren viel zu viel von allem. Es gäbe keine Probleme mehr, wenn wir alle statt symbolischer Gesten unseren Konsum um vielleicht 7 bis10 Prozent reduzieren würden, indem wir das Licht ausschalten oder duschen, statt zu baden. Menschen sind Genies und in der Lage, die Probleme zu lösen, aber wir schieben es bis zur letzten Minute auf. Und dann kann es zu spät sein. Wir kennen die Probleme. Wir kennen die Lösungen. Aber schauen nie voraus. Aktuell sollte unser wichtigstes Ziel positives Nicht-Wachstum sein: weniger konsumieren, aber weiterhin kreieren.

Glaubt er also, dass mehr rechtliche Schritte eingeleitet werden sollten, um den Konsum zu bremsen? „Auf jeden Fall. Es wird viel getan, aber das Problem ist, dass die Regierungen als Geiseln der Lobbyisten agieren.“

Darum sein unermüdlicher Ansporn, Lösungen zu finden, indem er zukunftsorientierte, politisch akzeptable und verantwortungsbewusste Werke schafft. „Bei deiner Geburt schließt du einen Vertrag mit deiner Spezies, deiner Zivilisation, deiner Gesellschaft, deinem Freund, deinem Nachbarn und dir selbst. Im Herzen dessen liegt unsere Pflicht, den Planeten zu schützen: Wir existieren nicht individuell. Wir existieren entlang eines Strangs. Von unseren Eltern bekommen wir einen Strang mit bestimmten Qualitäten, in einer bestimmten Form. Unsere Pflicht ist es, diesen Strang zu bearbeiten und ihn in einem besseren Zustand an unsere Kinder weiterzugeben. Das ist alles. Die Umwelt ist ein dringendes Anliegen geworden, da der Strang bei der Weitergabe in schlechterem Zustand ist als bei seinem Erhalt. Das ist sehr schade, da Milliarden von Menschen nach ihrer Geburt für die Qualität des Strangs gearbeitet haben, ihr Leben dafür gegeben haben, und trotzdem sieht es so aus, als werden wir ihn in einer sehr, sehr kurzen Zeit zerstören. Es ist Zeit, aufzuwachen und zu sehen, dass es an allen Ecken und Enden brennt.“

„Wissenschaftler wissen genau, was auf uns zukommt, aber niemand hört auf sie, da ihnen keiner das Mikrofon reicht. Stattdessen wollen die Medien mit Menschen wie mir sprechen, die nichts zu sagen haben, oder mit einem Musiker, der vielleicht nur eine Woche angesagt ist. Ich liebe Wissenschaftler. Sie haben spannende, anregende Dinge zu erzählen – und übrigens kann man sich auch prächtig mit ihnen amüsieren. Es werden immer weniger öffentliche Gelder für Forschungszwecke bereitgestellt, stattdessen werden Wissenschaftler oft vom privaten Sektor finanziert, was häufig zu nichts führt. Wir müssen den Wissenschaftlern den Schlüssel zur Gesellschaft zurückgeben.“

Starck wird of als Visionär bezeichnet, obwohl er sich selbst nie so nennen würde, da er eher zu großer Bescheidenheit neigt: „Meinem Leben und meiner Arbeit räume ich keinen hohen Stellenwert ein.“ Nichtsdestotrotz gibt er zu, dass seine Projekte ihn völlig einnehmen können und er vielleicht nicht nur aufgrund seines Talents und seines Engagements überlebt und Erfolg hat, sondern auch aufgrund seiner Liebens-würdigkeit und seiner Beliebtheit. Man bekommt den Eindruck, an seinen scherzhaften Aussagen ist viel Wahres dran: „Ich habe kein Privatleben. Ich habe keine Hobbys. Ich gehe nie aus. Ich esse jeden Morgen, jeden Mittag und Abend eine Schüssel Quinoa. Ich arbeite 18 Stunden am Tag, ich versuche um 21:30 Uhr schlafen zu gehen, aber es ist kein echtes Leben. Wenn Projekte dein Leben sind, lebst du woanders.“

Viele seiner Projekte plant und entwirft Starck isoliert wie ein Einsiedler in einer Ferienhütte ohne Strom und Wasser in den Dünen in Portugal, wo er wie ein Einsiedler lebt. Er und seine Frau Jasmine leben in Flugzeugen oder mitten im Niemandsland. „Außer erstklassigen Arbeitsmitteln brauche ich nichts“, dabei zeigt er auf seinen sorgfältig angeordneten Block und Stift; Starck hat keinen Computer und keine E-Mail-Adresse. An technischen Spielereien schaffte er nur ein iPhone an, das er ausschließlich für Telefonate mit seiner Frau nutzt, und ein iPad Mini, mit dem er hauptsächlich Musik abspielt, die er über die von ihm für das französische Tech-Unternehmen Parrot entworfenen Zik-Kopfhörer hört.

Langsam kommen wir auf sein Vermächtnis zu sprechen. Starck genoss eine strenge katholische Erziehung, räumt aber ein, dass er nicht gläubig ist. „Wenn man stirbt, stirbt man. Das war’s. Ich will nicht auf einem Friedhof begraben werden, da ich meiner Familie keine Last sein will. Gibt es ein Grab von mir, fühlt sie sich sicher verpflichtet, es zu besuchen.“ Wie soll ihn die Nachwelt im Gedächtnis behalten? „Interessante Frage, für die es keine Antwort gibt. In unserer Gesellschaft gibt es kein moralisches Vermächtnis. Alles ist so schnelllebig, dass super-wichtige Menschen sterben und zwei Wochen später vergessen sind. Vielleicht werden es einige Menschen dumm finden, dass ich wie ein Tier auf Nahrungssuche immer auf der Jagd nach neuen Ideen, neuen Lösungen war. Aber es würde mich stolz machen, wenn sie einräumen würden, dass ich ein ehrlicher Mensch war, der auf harmlose Weise seine Werkzeuge, seine Waffen, seine Energie eingesetzt hat, damit ihre Freunde ein besseres Leben haben.“

Mehr zu Philippe Starcks neuesten Projekten unter: starck.com

„Starck: 11 truly thrilling talks“ ist eine Sammmlung von Vorträgen über Wissenschaft und Design – Gedanken, die die Fantasie anregen und Kreativität fördern. Zu finden auf YouTube.

„Mein Vater war Luftfahrt-
ingenieur. Damit wurden Erfindungen für mich zur Pflicht“
Philippe Starck

„Politisch, ethisch, subversiv, ökologisch, unterhaltsam – so sehe ich meine Pflicht als Designer“
Philippe Starck

„Das Thema der nächsten Jahre wird die Suche nach einem Modell für positives Nicht-Wachstum sein, das uns rettet“
Philippe Starck

Maison Heler

METZ, FRANKREICH, 2018

Anfang des Jahres präsentierte Starck Pläne für Maison Heler [rechts], ein 14-stöckiges Hotel in Metz mit einem traditionellen Landhaus auf dem Dach. Er beschreibt es als „phantasmagorisch… es geht um herausgerissene Wurzeln, es ist ein Symbol für Lothringen“. Er wurde von der Hilton Group beauftragt, die es für ihre Marke Curio Collection entwerfen ließ.

P.A.T.H.-HAUS

2014, Prefabricated Accessible Technological Homes

Starck entwickelte P.A.T.H. in Verbindung mit Riko, einer slowenischen Firma, die sich auf industrielle Vorfertigung und Energietechnik spezialisiert hat. Der Prototyp südöstlich von Paris, in dem Starck auch lebt, ist auf dem Dach mit Technologien zur Energieerzeugung ausgestattet: 58 photovoltaisch-thermische Solarhybridkollektoren, Windturbinen (von Starck entworfen und Pramac hergestellt), Regenwasseraufbereitung und Wärmepumpen. Mit diesem Energie-System produziert das Haus 50 % mehr Energie als es verbraucht. starckwithriko.com

BENTLEY-HEIMLADESTATION

Bentayga hybrid, 2018

Starck über die Ladestation, die 2018 auf dem Genfer Autosalon präsentiert wurde: „Wie immer wollte ich mit meinem Design das Maximum an Intelligenz mit einem Minimum an Material herausholen. Es soll ein modernes Kunstwerk sein: langlebige, authentische und avantgardistische Technologie. Für mich war es auch wichtig, dass die Station so nachhaltig wie möglich ist.“ Sie ist aus gepresstem Bio-Leinen, natürlichem Duroplast und einem Aluminiumgehäuse gefertigt.

Eine Star(c)ke auswahl

Starck entwirft seine Werke für die unterschiedlichsten Bereiche. Sein Lebenslauf kommt einem Lexikon gleich und umfasst 21 Seiten. Wir stellen beispielhaft sechs aus etwa 10.000 Produkten vor – und entschuldigen uns im Voraus, falls Ihr Lieblingsartikel nicht dabei ist…

M.A.S.S. – Abkürzung für Matsch,
Asphalt, Sand, Schnee

STARCKBIKE, MIT MOUSTACHE

Starck lernte Moustache durch sein Interesse an den Fahrrädern des französischen Herstellers kennen. Ihr erstes gemeinsames Projekt mündete in die Elektrofahrradkollektion M.A.S.S. (Matsch, Asphalt, Sand, Schnee), die der Öffentlichkeit 2015 präsentiert wurde. Jedes Fahrrad ist ergonomisch speziell an sein Gelände und Einsatzgebiet angepasst. 

MEDALLIEN, OLYMPISCHE SPIELE 2024

PARIS

Hinter Sportlern steht oft ein „unsichtbares Team“. Das inspirierte Starck zur Idee der kollektiven Olympia-Auszeichnung. Die Medaille lässt sich vierteilen, sodass auch Familie, Freunde oder Trainer ein Viertel erhalten können.

JUICY SALIF

ZITRUSPRESSE, ALESSI

Die 1988 auf den Markt gekommene Zitruspresse Juicy Salif ist inzwischen ein Design-Klassiker und zeigt, wie Starck aus den banalsten Haushaltsgegenständen einen Gesprächs-aufhänger macht. „Alberto Alessi bat mich, eine Butterdose zu entwerfen, aber ich fand das nicht gut, da Butter schlecht fürs Cholesterin ist, also schuf ich stattdessen die Zitruspresse“, erklärt Starck. 

KARTELL-STUHL

2017

Starck arbeitet bereits seit 30 Jahren mit Kartell zusammen. „Dieses Modell spricht mich ganz besonders an, da es eine Hommage an Arrigo Cipriani und seine Harry‘s Bar in Venedig ist. Ich lebe seit 35 Jahren in Venedig und sehe Arrigo regelmäßig dabei zu, wie er, wie es zeitgemäßer nicht sein könnte, diesen urbanen Mikrokosmus im Handumdrehen umgestaltet.“

IPANEMA

MIT STARCK

Bei der dritten Zusammenarbeit von Starck mit der brasilianischen Schuhmarke Ipanema stehen die Sandalen 2018 wieder ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit: Sie werden in ethisch und ökologisch verantwortungsvollen Fabriken in Brasilien aus recycelten Materialien hergestellt.

Mi MIX

SMARTPHONE FÜR XIAOMI

„Das Design eines Smartphones ist eine neue kreative Erfahrung für mich“, so Starck 2014 über sein erstes Smartphone mit rahmenlosem Display für das chinesische Elektronikunternehmen Xiaomi.

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Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Winter 2017

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