Ein Auge für besondere Momente

US-Fotograf Mark Edward Harris bereiste mit seiner Kamera im Gepäck nahezu 100 Länder. Dabei entstanden bemerkenswerte Aufnahmen, die in Zeitungen und Zeitschriften wie The New York Times, dem Stern, Vanity Fair und National Geographic Traveller erschienen. Der vielfach ausgezeichnete Künstler hat bereits mehrere Bücher herausgebracht, u. a. „North Korea“, „Inside Iran“ und „The Way of the Japanese Bath“. Wo führt ihn seine Neugier als Nächstes hin?

Cherry Maslen fotos Mark Edward Harris

Der in Los Angeles geborene Mark Edward Harris begann seine Karriere als Standbildfotograf für TV-Sender, Filmstudios und der Kult-Talksendung The Merv Griffin Show inmitten der Glanz- und Glamourwelt von Hollywood. Dass er später kaum besuchte Regionen in Nordkorea und im Iran für sich erschlossen und die Verwüstung des Tsunamis in Japan 2011 mit seinen Bildern festgehalten hat, zeigt nicht zuletzt die erstaunliche Vielseitigkeit des preisgekrönten Fotografen.
Einige von Mark Edward Harris‘ faszinierendsten Bildern entstanden während seiner Aufenthalte in Nordkorea. Das erste Mal reiste er 2005 in das abgeschottete Land, als Pressefotograf für das Arirang-Festival, einem Turnfest, das unter Mitwirkung von zehntausenden Teilnehmern seine Besucher durch spektakuläre Choreografien begeistert. „Das ist das Nordkorea, das die Machthaber der Welt präsentieren möchte“,so Harris. „Aber um einen echten Eindruck vom Leben hier zu bekommen, muss man durch die Straßen gehen. Je weiter man sich von der Hauptstadt Pjöngjang entfernt, desto eher sieht man, wie der Alltag für viele Nordkoreaner wirklich aussieht. Ich habe sieben der neun Provinzen bereist, einschließlich der nur selten besuchten Regionen.
Zwei seiner Bilder machen diesen Gegensatz zwischen dem „öffentlichen“ und „nichtöffentlichen“ Nordkorea besonders deutlich: das Foto eines makellos gekleideten Kindergartenkindes bei einer Aufführung und die Aufnahme eines kleinen Mädchens mit starrem Blick in einem befleckten rosafarbenen Anorak auf den Straßen der Hauptstadt.
Obwohl viele Menschen, besonders in den ländlichen Gebieten, sehr wenig haben, wirkt das Land laut Harris nicht wie ein großes Gefangenenlager, aus dem alle flüchten wollen. „Die Menschen scheinen an das System zu glauben, solange sie genug Nahrung haben. Und solange man nicht aus der Reihe tanzt, ist es ein sehr sicheres Land“, berichtet Harris. „Allerdings wäre es auch sehr schwierig, seine Unzufriedenheit zu äußern“, fügt er hinzu. „Ich habe mir die Sprache angeeignet, aber ich kann nur oberflächliche Unterhaltungen mit den Nordkoreanern führen, keine tiefgründigen Gespräche, das ist zu gefährlich für sie.“
In einem seiner anderen Bücher „The Way of the Japanese Bath“ befasst Harris sich mit der Bedeutung der 20.000 Thermalquellen im Leben der Japaner. „Der Besuch eines Thermalbades bietet eine hervorragende Möglichkeit, den Alltag sowohl geistig als auch körperlich hinter sich zu lassen, man legt seinen Stress praktisch mit der Kleidung ab“, sagt Harris. Viele seiner Bilder, besonders seine Außenaufnahmen, haben eine spirituelle Note, welche das besondere Ambiente dieser magischen Orte einfängt.
Jede der Thermalquellen ist anders und bedient andere Präferenzen – darum schlägt Harris vor, dass Besucher möglichst viele kennenlernen, um ein Gefühl für diesen wichtigen Aspekt der japanischen Lebensweise zu bekommen. „Wie auch die Teezeremonie oder das Ikebana, die Kunst des Blumenarrangierens, trägt der Besuch einer Thermalquelle zur mentalen Reinigung bei“, so Harris. „Im Westen werden spirituelle Entschlackungskuren dieser Art immer populärer“.
Einige von Harris‘ faszinierendsten Porträtaufnahmen zeigen indes keine Menschen, sondern Orang-Utans. Auch hat er Gorillas in Ruanda und Uganda in freier Wildbahn fotografiert, aber im International Orangutan Center des Indianapolis Zoo, in dem die Lebensbedingungen der Menschenaffen hervorragend an ihren natürlichen Lebensraum angepasst sind, hat er die einzigartige Möglichkeit, die Primaten aus nächster Nähe zu erleben.
„Man kann ihnen in die Augen sehen und weiß, dahinter läuft ein gedanklicher Prozess ab“, so Harris. „Nachdem ich eine Affendame fotografiert hatte, gab sie mir klar zu verstehen, dass sie das Bild sehen wolle. Das Zentrum leistet hervorragende Arbeit bei der Erforschung der Kommunikationsfähigkeit und Intelligenz der Tiere. Für mich steht fest: Ich möchte lernen, mit Orang-Utans zu kommunizieren.“
2018 stehen für den Fotografen ein weiterer Besuch des Orangutan Center und eine erneute Reise nach Japan auf dem Programm. „Ich möchte mich intensiver mit der Teezeremonie beschäftigen. Dabei hilft mir die Zeremonienmeisterin Soka Haneishi der im Herzen von Tokio gelegenen Teeschule Shizu-kokoro“, so Harris. „Aber darüber hinaus möchte ich mich einer weiteren wichtigen japanischen Tradition widmen: dem Sumoringen.”
markedwardharris.com

„Um einen ecthen Eindruck vom Leben hier zu bekommen, muss man durch die Straßen gehen“
Mark Edward Harris

Kindergartenkinder bei einer Aufführung für Besucher ihrer Schule in Ch’ongjin-shi, Nordkorea, 2011.

Aufgenommen mit einer Nikon D3X unter Verwendung eines 24-70-Millimeter-Objektivs.

Spielende Kinder in Majuro, Hauptstadt der Marshallinseln im Südpazifik, 1997.

Aufgenommen auf Schwarzweiß-Film mit einer Nikon FM2.

U-Bein, die längste Teakholz-Brücke der Welt in Mandalay, Myanmar, 2010.

Aufgenommen mit einer Nikon D3 unter Verwendung eines 180-Millimeter-Objektivs im Rahmen eines Projekts mit R. Crusoe & Son.

Eine Frau wäscht sich die Haare nach einem Bad in den Thermalquellen in Arima, Japan, 2002.

Das Foto stammt aus Harris‘ Buch „The Way of the Japanese Bath“.

Fotograf Alfred Eisenstaedt an seinem 95. Geburtstag auf dem Time-Life-Gebäude in New York, 1993. Als er zwei Jahre später verstarb, erschien das Bild im LIFE-Magazin als „Lieblingsfoto des Starfotografen“ von sich selbst.
Aufgenommen unter Verwendung eines großen silbernen Reflektors, der rechts neben die Kamera gehalten wurde.

Ein Verkehrspolizistin auf den Straßen von Pjöngjang, Nordkorea, 2008. Harris dokumentierte dort das historische Konzert der New Yorker Philharmoniker in der Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Korea.

Ein kleines Mädchen 2008 auf den Straßen von Pjöngjang, Nordkorea.

Aufgenommen mit einer Nikon D3 unter Verwendung eines 85-Millimeter-Objektivs.

Eine Teenagerin des Himba-Stammes im Norden Namibias, 2013.

Aufgenommen mit einer Nikon D800E unter
Verwendung eines 105-Millimeter-Objektivs.

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Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Früling 2018

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