Jamie Cullum

Der erfolgreichste britische Jazz-Musiker aller Zeiten hat weltweit mehr als zehn
Millionen Alben verkauft – und wie viele,0legendäre Künstler vor ihm findet er Inspiration auf dem Montreux Jazz Festival

Inteview Deirdre Vine foto Marc Ducrest

Meiner Meinung nach das beste Festival der Welt“, lies Jamie Cullum die Zuschauer in Montreux 2014 während seines Auftritts wissen. „Ich finde es hier jedes Mal toll. Es ist ein Paradies für Musiker.“ Der mehrfach ausgezeichnete Künstler ist überall auf der Welt enorm gefragt. Doch immer wieder zieht es ihn an die Ufer des Genfer Sees – auch diesen Juli kehrt er für seinen Auftritt auf dem 50. Montreux Jazz Festival dorthin zurück.
„Drei Dinge gefallen mir besonders gut“, schwärmt Cullum. „Erstens nimmt das Festival den schönen Ort komplett für sich ein. Direkt bei der Ankunft befindet man sich in einer Art Party-Land, umgeben von Musikern, Musik, ausgelassener Stimmung und kreativem Ambiente.  Zweitens kommt man in den Genuss eines außergewöhnlich breiten Musikspektrums, und drittens – und das ist so wichtig – fühlen sich Musiker in Montreux sehr willkommen.
Cullums erste Einladung zum Festival kam 2004 von Mitbegründer Claude Nobs. „Er ließ mich schon früh in Montreux auftreten, als meine Karriere noch in den Kinderschuhen steckte. Aber er erkannte mein Potenzial. Ich kam also immer wieder, mein Publikum wuchs, und ich fühlte mich dem Festival und insbesondere Claude selbst sehr verbunden.
Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Claude bei meinem Auftritt auf der Pressepräsentation einige Monate vor dem Montreux Jazz Festival. Man diskutierte, ob ich denn nun als echter Jazz-Musiker gelten konnte oder ob mein Stil dafür nicht zu poppig oder so war… Ich war ziemlich nervös, aber er kam zu mir und sagte einfach: ‚Ich finde toll, was du machst. Es ist so fesselnd, und du hast eine fantastische Ausstrahlung. Geh einfach raus, und mach dein Ding‘, sprach er mir Mut zu.“

Nobs hatte sich mit Haut und Haaren der Musik verschrieben und als echter Macher große Freude daran, Dinge auf den Weg zu bringen. „Auch wenn Menschen wie Claude nicht unbedingt selbst als Künstler gelten, sind sie extrem wichtig, da sie optimale Voraussetzungen zur Entfaltung von Kreativität schaffen“, so Cullum.
Nobs starb 2013 nach einem Skiunfall, aber sein Name wird immer untrennbar mit dem Montreux Jazz Festival verbunden sein. Das in seinen Anfängen 1967 als dreitägiges Fest veranstaltete Event entwickelte sich sowohl für die Größen der Musikbranche als auch für aufstrebende Künstler schnell zu einem echten Anziehungspunkt. Neben Auftritten von Jazz-Stars wie Nina Simone, Miles Davis und Ella Fitzgerald konnte es mit zunehmender Größe sein Spektrum kontinuierlich um Acts anderer Genres erweitern. Die Band Deep Purple huldigt mit ihrem Song „Smoke on the Water“ eine Heldentat von Nobs. Das Lied handelt von dem 1971 während eines Auftritts von Frank Zappa im Montreux Casino ausgebrochenen Feuer. Der Text „Funky Claude was running in and out, pulling kids out the ground“ (Der flippige Claude rannte immer wieder rein und zog Kids nach draußen) bezieht sich auf Nobs Einsatz bei der Bergung der Zuschauer aus dem brennenden Gebäude. „Er war definitiv ‚flippig‘, jemand, den man gern um sich hatte. Er sorgte für gute Stimmung, hatte was Verschmitztes an sich“, erinnert sich Cullum. „Er war einfach ein cooler Typ.“

Als Gastgeber war er in aller Munde. „Ich weiß noch, wie ich zu einer von Claudes berühmten Partys ging. Ich kam an und dachte, ich sehe nicht richtig: Da saß George Duke mit Chaka Khan bei einem Brunch zusammen. Einige Besucher waren schon seit Stunden da, andere waren gerade erst angekommen. Die Party war einfach die ganze Zeit in vollem Gange. Claude war jemand, der Leute zusammenbrachte und dafür sorgte, dass sich alle kennenlernten. Da hieß es nicht etwa: ‚Komm, ich stelle dir den legendären George Duke vor, damit du dich ehrfürchtig vor ihm verneigen kannst‘, sondern eher: ‚Hey, ihr spielt beide Klavier, ihr solltet euch unterhalten.‘ Für Claude waren wir einfach Künstler des Festivals. Musik brachte uns auf Augenhöhe, sie war etwas, das wir alle gemeinsam hatten.“
Auch in künstlerischer Hinsicht fand Cullum Montreux immer förderlich: „Auf Festivals heißt es manchmal, man müsse zu einer bestimmten Zeit fertig sein, oder es gäbe Ärger. Claude hingegen ließ uns da völlig freie Hand. Wenn ein Veranstaltungsort schließen musste, durften wir unseren Gig bei der Jam Session gleich um die Ecke fortsetzen. So schuf er ein Klima der Kreativität. Hatte man auf dem Festival eine geniale Idee für ein Stück, kümmerte er sich gleich um ein Studio, damit man es aufnehmen konnte. Er wollte, dass Musiker durch ihre Kunst beflügelt wurden, denn diesen Effekt hatte sie bei ihm. Darum versuchen so viele Musiker einen Auftritt dort einzurichten, wenn sie eingeladen werden. Wie ich sagen auch sie: ‚Ich will in Montreux spielen, da es Spaß machen wird und immer etwas Cooles passiert.‘ Ich treffe Chaka Khan oder spiele eine Jamsession mit Paolo Nutini oder Roy Hargrove, ich schlafe vermutlich nicht und rede die ganze Nacht über Musik. Die meisten Festivals sind anders. Diese besondere Atmosphäre steckt alle Beteiligten an. Nur eins ist in Montreux unabdingbar: Man muss gut sein… denn man ist von den Besten der Welt umgeben.“

Das 50. Montreux Jazz Festival findet vom 1. – 16. Juli statt.
montreuxjazzfestival.com

WEITERLESEN

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Frühling 2016

WEITERLESEN