Jon Lord

Deep Purples sanftmütiger Maestro
Jon Lord war der Held einer ganzen Generation von Deep-Purple-Fans und genoss auch in Musikerkreisen große Sympathie und Anerkennung. Er galt nicht nur als einer der großen britischen Keyboard-Virtuosen im goldenen Zeitalter des Progressive Rock, er war auch ein hochangesehener Komponist symphonischer klassischer Musik.

Chris Welch

Der Tod Jon Lords im Alter von 71 Jahren am 16. Juli 2012 war eine Tragödie für seine Familie und Freunde und ein großer Verlust für die Musikwelt. Selbst während seines Kampfes gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs, dem er schließlich erlag, arbeitete er noch im Studio an einer Neu-Aufnahme seines berühmten Concerto for Group & Orchestra.

Das mit Deep Purple in der Royal Albert Hall in London im September 1969 aufgeführte Concerto war ein bahnbrechendes Werk eines neuen Musikstils, der Rockmusik mit Klassik verband. 1999 kam es zu einer Wiederaufführung des Stückes unter Mitwirkung von Deep Purple, aber auch nach Jons Ausstieg aus der Band 2002 trat er unterstützt von unterschiedlichen Orchestern noch einige Male damit auf.

Der in klassischer Musik ausgebildete Jon Lord hatte es mit seinem altmodischen Charme, seinen guten Manieren und seiner Höflichkeit als junger Rockmusiker nicht leicht, feierte dann aber letztlich mit Deep Purple große Erfolge. „Jon hatte eine sehr gute Technik und war ein fantastischer Entertainer“, erinnert sich ihr Sänger Ian Gillan.

Der als Sohn von Miriam und Reginald am 9. Juni 1941 in Leicester, England, geborene John ‘Jon’ Douglas Lord bekam 1945 ein Brüderchen namens Steve. Ihr Vater Jon ermutigte Jon zu Klavierstunden, und im Dezember 1958 absolvierte er erfolgreich die Prüfung der Royal School of Music für die Leistungsstufe 7 (fortgeschritten). Steve war stolz auf seinen großen Bruder. „Jon las Partituren im Bus auf dem Heimweg von der Schule.“

1960 zog Jon nach London und meldete sich an einer Schauspielschule an, um Filmstar zu werden. Er beschrieb seinem Bruder das Leben in London als „aufwühlend, beängstigend und schweißtreibend“. Aber 1963 gründete er die Band The Artwoods und brachte 1966 mit ihr das Album Art Gallery heraus, auf dem auch Jons Jazz-Instrumentalversion von Walk On The Wild Side an der Orgel enthalten war.

Nach Auflösung der Band gründete Jon mit Ritchie Blackmore die Gruppe Roundabout, aus der dann nach der Besetzung von Rod Evans als Leadsänger und Ian Paice als Drummer Deep Purple hervorging. Ihre erste Single „Hush“ wurde weltweit sofort ein Hit.

Ian Paice traf Jon das erste Mal im Marquee Club in London. „Jon wirkte extrem groß und schlank in seinen Absatzstiefeln. Zusammen mit seinem Schnurrbart und den langen Haaren sah er aus wie ein echter Rock‘n‘Roll-Star.

Später schlossen sich Roger Glover und Ian Gillan als Ersatz für ihre Vorgänger Deep Purple an. „Ritchie und Jon entdeckten Ian als Sänger der Band Episode Six, für die ich Bass spielte. Sie wollten Gillan in der Band haben, und zu meiner Erleichterung fragte Jon mich auch“, so Roger.

Deep Purple war begeistert von Jons Concerto und gern bereit ihn damit zu unterstützen. Vor seinem Auftritt in der Albert Hall mit der Band und dem Royal Philharmonic Orchestra war Jon dennoch nervös und brauchte den Zuspruch von Dirigent Malcolm Arnold, der ihm versicherte, dass das Concerto ein überragendes Stück sei.

Am Tag des Konzerts hatte Gillan die Texte immer noch nicht fertig, sodass Jon ihn höflich auffordern musste: „Ian, mein Guter, wärst du so nett, sie zu Beginn der Show fertig zu haben?“ Er brachte sie gerade noch rechtzeitig vor dem Konzert auf einer Serviette zu Papier.

Jon trug zu vielen Deep-Purple-Hits bei, allen voran zu „Speed King“, „Child In Time“ und zum Kultsong „Smoke On The Water“. Aber trotz des Erfolges forderte das Tourneeleben seinen Tribut. Gillan und Glover verließen die Band 1973 und wurden durch David Coverdale und Bassist Glenn Hughes ersetzt. 1975 stieg Blackmore aus, um die Rockgruppe Rainbow zu gründen, und Deep Purple trennte sich 1976. Als Coverdale 1978 die Band Whitesnake gründete, holte er Ian Paice sowie Jon dazu. Sie blieben sechs Jahre bis zum Neubeginn von Deep Purple 1984.

Unterdessen nahm Jons Familienleben Fahrt auf. Er lernte Vicky Gibbs kennen, heiratete sie, und sie bekamen ihre geliebte Tochter Amy. „Zusammen mit meiner Zwillingsschwester Jackie sah ich die Band regelmäßig im Speak-easy [Club], zudem war ich mit Glenn Hughes zusammen. Als er sich Deep Purple anschloss, lernte ich Jon persönlich kennen und stellte fest, was für ein liebevoller Mensch er war.

Jon und ich waren 34 Jahre zusammen. 1981 wurde Amy geboren. Zu Beginn ihrer Schulzeit war es nicht leicht für uns, da Jon viel unterwegs war. Aber er schrieb Klavierstücke für Amy und spielte eins in der Kirche bei ihrer Hochzeit“, so Vicky.

Amy vergötterte ihren Vater. Auch wenn er in ihrer Kindheit als Rock-Legende gefeiert wurde, war er, wenn er von der Arbeit nach Hause kam, doch einfach nur ihr Papa. „Ich sah die Band als kleines Kind auf ihrer Tournee durch die USA. Es war toll, aber die laute Musik hat mir Angst gemacht.“

Als Jon 2002 bei Deep Purple ausstieg, war das eine harte Entscheidung für einen Musiker, dessen so ruhige und witzige Art über seine innere Unruhe und sein sensibles Wesen hinwegtäuschte. „Aus emotionaler Sicht hat er es genau richtig gemacht“, so Ian Paice. Danach richtete sich sein Fokus auf die klassische Musik, und er komponierte 2008 das Durham Concerto.

„Er war ein wunderbarer Mensch und Gründervater von Deep Purple“, so Ian Gillan. „Wir schrieben den Song Above And Beyond über ihn, in dem es heißt: ‚Seelen, die einander berührt haben, sind für immer miteinander verbunden‘. Jon ist immer noch jeden Abend auf der Bühne bei uns.“

„Deep Purple war ein wunderbarer Teil seines Lebens und sein Ausstieg aus der Band gehörte zu den schwierigsten Entscheidungen seines Lebens. Er vermisste die Tourneen mit seinen Jungs, aber er hatte auch einige fantastische Momente
als Solo-Künstler.“
Amy Lord

„Eines seiner herausragendsten Werke war sein wunderschönes Durham Concerto.
Es ist beein-druckend, wenn man bedenkt, dass er jede Note für jedes Instrument selbst geschrieben hat. Er wachte oft mitten in der Nacht mit Musik im Kopf auf, stand auf und notierte sie.“
Vicky Lord

„Zu seiner Anfangszeit in London hatte mein Bruder Schlafprobleme. Er fand Arbeit in einer Fabrik, in der er Säcke voller Vanillepuddingpulver schleppte, um seine Schulden zu bezahlen. Dann schrieb er: Ich werde Alles geben, um etwas zu tun, worauf du stolz bist – ich weiß noch nicht was, aber es wird dich stolz machen. Und so
kam es.“
Stephen Lord

Jon Lord bei einem Live-Aufritt
von Deep Purple
1985 in Deutschland.

Foto von Didi Zill.

Zeichnung von Jon Lords Schwiegersohn.

Al Cherrington

Deep Purple 1971 in West-Berlin, mit goldenen Schallplatten für den Verkauf ihres Albums „Deep Purple in Rock“.

Didi Zill

„Er war einfach ein unglaublicher, wunderbarer Mensch und eine Inspiration, der Gründervater von Deep Purple. Kurz nach Jons Tod schrieben wir einen Song über ihn für unser Album Now What?! Er heißt ‚Above And Beyond‘.“
Ian Gillan

„Jon war nicht nur ein großer Musiker, es gab auch niemanden, mit dem ich lieber zu Abend aß. Ich war total geschockt, als ich von seinem Tod erfuhr. Ohne Jon hatte es Deep Purple nie gegeben. Er lebt in unseren Herzen und in unserer Erinnerung weiter.“
Ritchie Blackmore

„ Jon war ein bescheidener Mensch und ein sehr talentierter Musiker. Er war mein Mentor und brachte mir sehr viel über klassische Musik bei. Er war so nett und so ein Gentleman, in seiner Gegenwart fühlten sich die Menschen wohl.“
Roger Glover

„ Alle Mitglieder von Deep Purple hatten ihn sehr gern, und ich hab nie gehört, das auch nur ein Mensch je ein schlechtes Wort über Jon Lord verlor. Als ich ihn spielen hörte, dachte ich: ,Der Typ ist eine Nummer für sich.‘ Er hinterließ ein wunderbares Musik-Vermächtnis, von dem noch viele Generationen etwas haben werden.“
Rick Wakeman

ÑJon war eigentlich ein total untypischer Rock’n’Roll-
Musiker, obwohl er in seinen jüngeren Jahren den Rocker-Lebensstil naturlich genauso auskostete wie jeder andere von uns. Aber darunter schlummerte ein sehr ausgeglichener Gentleman mit einer ordentlichen Erziehung.
Ian Paice

„Jon war anmutig, intelligent, höflich und von ausgesprochen
integerem Charakter. Seine Kreativität war grenzenlos. Auf der Suche nach den richtigen Noten schrieb er wunderschöne Musikstücke, die er mit Stolz und Freude umsetzte.“
Frida Lyngstad von ABBA

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Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Früling 2018

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