LOIS GREENFIELD
Lebende Skulpturen

Sie ist nicht nur die größte Tanzfotografin aller Zeiten, Lois Greenfield bannt Wunder mit der Kamera, die wir auf andere Weise nicht zu sehen bekämen. Ihre Bilder geben improvisierte Bewegungen wieder, die so niemals Teil eines choreographierten Tanzes sein könnten – sie sind, in ihren Worten, „isolierte Momente ohne Anfang und Ende, unsichtbar für das nackte Auge, das die 1/2000 Sekunde, die ich belichte, nicht wahrnehmen kann“
text Deirdre Vine

Natalie Deryn Johnson, 2014

„Natalie erinnert mich an eine Herde Wildpferde, nicht aufzuhalten in ihrer rasenden Bewegung. Sie nimmt das Auge der Kamera nicht wahr und erscheint wie in einem privaten Moment, bar jeder Geschichte, so dass der Betrachter sich im Urwald  ihrer Gedanken verirren kann“, sagt Lois Greenfield.

Andrew Pacho, 1999

„Ich hatte den Auftrag ein Bild für das JVC Jazz Festival zu machen“, erzählt Lois. „Meine Vorstellung war, einen Tänzer hereinfliegen zu lassen, wie einen Engel, der die Musik macht. Dieses Foto entstand während der Probeaufnahmen. Der Kontrabass wurde von einem Assistenten gehalten, der ihn losließ als der Tänzer seine Hände am Bund hatte und bereit stand, das Instrument aufzufangen, als der Tänzer losließ. Pacho kam schon im Kostüm für diese Rolle und nach ein paar Polaroids wusste ich genug, um einen Film einzulegen und diesen magischen Moment festzuhalten.“

Verzauberte Momente

Jordan Isadore, 2013

Ich bin davon verwirrt wie, Jordan seinen Schal verdreht hat und wie er in diese Position geraten konnte. Als ich ihn danach fragte, sagte er, er könne es auch nicht sagen! Sein Bewegungsablauf folgt einem natürlichen Fluss, der meine physischen Möglichkeiten ständig herausfordert“, sagt Lois.

Lois Greenfield ist gebürtige New Yorkerin und lotet seit vier Jahrzehnten die Möglichkeiten der Fotografie aus, um Momente im Fluss der Zeit festzuhalten, die den tanzenden Körper im Flug oder in anmutigen Drehungen und Sprüngen auf einzigartige Weise offenbaren. Die Bilder auf diesen Seiten sind Teil ihres neuesten Fotobandes – der erste seit 17 Jahren – mit dem Titel „Lois Greenfield: Moving Still“ (Bewegte Stillleben). Darin befindet sich auch ein Interview, in dem sie ihre Entwicklung von der Schwarz-Weiß-Fotografie hin zur Farbfotografie erläutert. „Das vordergründige Thema meiner Fotografien mag die Bewegung sein, aber der Subtext ist Zeit“, erklärt sie. „Die Bewegung eines Tänzers illustriert das Vergehen der Zeit, indem sie diesem unsichtbaren Vorgang Substanz, Materialität und Raum verleiht. In meinen Fotografien wird die Zeit angehalten, ein Sekundenbruchteil wird zur Ewigkeit und ein flüchtiger Moment zur Skulptur.“
Lois ist für den wahrhaften Charakter ihrer Aufnahmen bekannt: Ohne Tricks und Manipulation wird auf jedem Foto ein einzelner Moment sichtbar. Sie bearbeitet oder verändert die Figuren auf den Bildern nie: „So wie Sie es sehen, habe ich es aufgenommen“. Und sie nutzt seit den 80er-Jahren dieselbe manuelle Hasselblad-Kamera. Anstatt aber einen Film einzulegen, verwendet sie einen digitalen Aufsatz, der weder über Autofokus noch eine Serienaufnahme-Funktion verfügt. „Ich schieße meine Bilder sehr altmodisch. Statt viele einzelne Aufnahmen pro Sekunde zu machen, ziehe ich es vor, einen Moment aus einer Bewegungssequenz auszuwählen und aufzunehmen. Danach bitte ich die Tänzer, die Sequenz immer wieder zu wiederholen…

„Ich arbeite lieber gemeinsam mit den Tänzern an improvisierten, nicht wiederholbaren und riskanten Momenten, statt in der  Beschränkung einer Choreographie.“
Lois Greenfield

Mich inspiriert der kreative Prozess. Die Arbeit mit den Tänzern und die Unkontrollierbarkeit der Elemente und Requisiten, die ich häufig benutze – Bänder, Stoffe, Plastikplanen usw. – beflügeln mich über meine eigene Fantasie hinaus. Mein Interesse liegt nicht darin, ein Bild, das ich bereits im Kopf habe, festzuhalten, sondern darin, die Möglichkeiten des Moments zu erforschen, die ich mir selbst nur halbwegs vorstellen kann.“
loisgreenfield.com

Für ein Portrait von Tim Mantoani, entwickelt Lois eine Bewegungsstudie, indem sie ihre eigenen Fotos in die Luft wirft, abgebildet in seinem Buch

„Behind the Photograph“.©Tim Mantoani

Paul Zivkovich, 2014

Lois: „Ich traf Paul 2003 in Australien, als ich gemeinsam mit Garry Stewart vom Australian Dance Theatre einen Tanz namens HELD entwickelte. Einer der wichtigsten Szenen darin war eine Reihe von Tänzern, die für den Bruchteil einer Sekunde auf dem Kopf balancierten. 2014 wollte Paul dieselbe Szene in meinem Studio wiederholen und da konnte ich nicht widerstehen, ein paar Styroporbälle ins Bild zu werfen.“
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Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Winter 2016

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