Licht und Beton

Bei der Auszeichnung Tadao Andos 1995 mit dem Pritzker Architecture Prize hieß es in seiner Laudatio: Originalität ist sein Medium, und seine persönliche Sicht auf die Welt dient ihm als Inspirationsquell. Auch noch 20 Jahre später lässt er sich von Konventionen keine Grenzen setzen.

text Deirdre Vine

Der 74-jährige japanische Architekt Tadao Ando ist bescheiden. Auf die Frage, welches seiner Bauwerke seinen Idealen am nächsten komme, erwidert er: „Für mich sind alle meine Werke, auch die laufenden Projekte, gleichermaßen bedeutend.“ Dennoch kommt er nicht umhin, das als Haus Azuma bekannte kleine Beton-Reihenhaus in Sumiyoshi, einem Stadtbezirk in Osaka, besonders hervorzuheben. Für das 1976 fertiggestellte Bauwerk wurde er mit dem Preis des (damaligen) japanischen Architektenverbands JAA ausgezeichnet und machte sich so erstmals einen Namen. Er selbst sagt darüber: „Dieses minimalistische Bauwerk mit dem zentralen, nach oben geöffneten Innenhof war eine frühe Umsetzung meiner Idealvorstellung architektonischer Gestaltung.“ Der Innenhof aus Sichtbeton, Glas und Schiefer ist vom Treiben der Stadt abgeschottet, zum Himmel hin geöffnet und damit allen Witterungsbedingungen ausgesetzt, sodass die Natur spürbar wird. Dieser Umgang mit der Natur innerhalb der Stadt sowie Andos Überzeugung, dass das Zusammenspiel mit der Natur für das Leben des Menschen wesentlich ist, machen seine Werke aus, in denen immer sowohl ein sozialer als auch ein gestalterischer Aspekt Eingang findet.

Seine vornehmlich aus Stahlbeton gefertigten Bauwerke – von Privathäusern über Wohnkomplexe bis hin zu Kultstätten, Museen und Einkaufszentren – definieren Räume auf eine einzigartige Weise. „Ich war beeindruckt von der Ästhetik, dem Umgang mit Licht und Schatten und der spektakulären Raumkomposition von Le Corbusier. Neben seinem architektonischen Schaffen bewunderte ich auch seine Einstellung, seine Hingabe sowie seine Art der Auflehnung gegen die akademische Welt und seine Herangehensweise an städtebauliche Probleme. Ich habe immer versucht, mir meine Kämpfernatur zu bewahren und Klischeevorstellungen zu vermeiden. Architekten von morgen müssen Kreativität und Vorstellungsvermögen mitbringen, um die Grenzen der Architektur zu hinterfragen, neue Gesellschaftssysteme oder Geschäftsmodelle aufzubauen“, so Ando.

Der Autodidakt Tadao Ando absolvierte eine informelle Ausbildung zum japanischen Tischler. Er sagt von sich: „Mit 18 besuchte ich die ersten Tempel, Kultstätten und Teehäuser in Kyoto und Nara. Hier gibt es zahlreiche Bauwerke von beeindruckender, traditioneller Architektur. Ich studierte die Architektur, indem ich mir reale Gebäude anschaute und darüber las.“ So begab sich Tadao Ando eigenmächtig auf Studienreisen durch Asien, Europa und Amerika, um sich die von so berühmten Architekten wie Le Corbusier, Mies Van der Rohe, Frank Lloyd Wright und Louis Kahn entworfenen Bauwerke aus der Nähe anzusehen, bevor er 1969 in seine Heimatstadt Osaka zurückkehrte, um sein Architekturbüro zu eröffnen.
Inzwischen findet man seine Baukunst auf der ganzen Welt. Fragt man ihn, welches Land sich momentan am ehesten für spannende Architekturprojekte eigne, so führt er China an, bemerkt aber, dass „Bauprojekte dort zu schnell vorangetrieben werden und Schwierigkeiten und Details erst gelöst werden, wenn sie schon fortgeschritten sind.” Gleichwohl geht er davon aus, dass „kein Architekt der Welt umhin kommt, die Zukunftschancen zu erkennen, die in der Aufbruchsstimmung und Dynamik Chinas liegen. Zu seinen jüngsten Projekten zählt das Poly Theatre in Shanghaier Bezirk Jiading, einem neu entstehenden Areal im Nordwesten des Stadtzentrums. Die Gestaltung sollte „den Hauch eines Wahrzeichens mitbringen, wobei seine plakative Wirkung durch die in den Beton-Glas-Kasten eingelassenen Tunnel gewollt ist.“ Ando ist unermüdlich: „Wenn ich ein Projekt annehme, dann machen mir weder Standort, noch Dimension Angst. Anspruchsvolle Ausgangsbedingungen spornen mich eher an. Von Hindernissen lssse ich mich nicht abschrecken.”
tadao-ando.com

„Man kann nicht einfach etwas Neues an einen Ort setzen. Man muss das, was man um sich herum sieht, das bereits an dem Ort vorhanden ist, aufnehmen und anschließend diese Erkenntnisse zusammen mit zeitgenössischen Überlegungen zur Interpretation dessen nutzen, was man sieht.“
Tadoa Ando

KIRCHE DES LICHTS IBARAKI, Osaka, Japan, 1989

Den Auftrag für dieses Projekt erhielt Tadao Ando, als er gerade mit der Konzeptionierung der Kirche auf dem Wasser begonnen hatte. Hier hatte er gleich drei große Herausforderungen zu bewältigen: kleinere Dimension, geringeres Budget und urbane Lage anstelle einer von natürlicher Schönheit umgebenen Landschaft. Er beschloss, sich die widrigen Voraussetzungen zunutze zu machen und erklärte: „Ohne jegliche Zierelemente handelt es sich um einen bloßen Raum… Lediglich eine in die Altarwand geschnittene Kreuzform projiziert das Symbol der Kirche in diesen Raum.”

4 x 4 house KOBE, HYOGO, Japan, 2003

Die turmförmigen, vierstöckigen Häuser mit Blick auf den Seto-Inlandsee optimieren das Potenzial der geringen Grundfläche von 4 x 4 Metern. Das Augenmerk liegt hier auf Licht und Wasser: So besteht die auf das Wasser hinausgehende Seite des obersten Stockwerkes gänzlich aus raumgroßen (unterteilten) Fensterflächen.
Mitsuo Matsuoka

CHICHU ART MUSEUM NAOSHIMA, Japan, 2004

Ando beschreibt das Chichu Art Museum als „Architektur, die sich in die Landschaft schmiegt.“ Es handelt sich hierbei um eine Reihe von Ausstellungsorten, die ausschließlich durch Tageslicht erhellt werden, sodass sich das Erscheinungsbild der Exponate je nach Tageszeit verändert. Als Bestandteil des ambitionierten Kunststandorts Benesse Art Site Naoshima errichtete Ando auf der Insel Naoshima acht separate Gebäude: Benesse House (1992), Benesse House Oval (1995), Art House Project „Minamidera“ (1999), Chichu Art Museum (2004), Benesse House Park (2006), Benesse House Beach (2006), Lee Ufan Museum (2010) und das Ando Museum (2013).
Kaori Ichikawa

KIRCHE AUF DEM WASSER – Shimukappu, Hokkaido, Japan, 1988

Tadao Ando ist der festen Überzeugung, dass zwischen der künstlich geschaffenen Welt, der natürlichen Umgebung und dem Menschen Harmonie herrschen muss. Der für seinen Stil typische Fokus auf das Verhältnis von Innen- und Außenbereich kommt bei der vollständig durch die Natur dargestellten Vorderseite dieser Kirche besonders gut zur Geltung. In seinem Schaffen bedient sich Ando häufig des Wassers als Reflexionsfläche für Licht und verstärkt damit den Eindruck von Ruhe und friedlicher Einkehr. Die Kirche auf dem Wasser setzt sich aus zwei einander überlappenden Kuben zusammen und geht auf einen künstlich angelegten See hinaus.

TEATRINO PALAZZO GRASSI – Venedig, Italien, 2013

Nachdem Tadao Ando neben dem Hauptgebäude des aus dem 18. Jahrhundert stammenden Palazzo Grassi auch das dazugehörige ehemalige Zollamt Punta della Dogana in ein Zentrum der modernen Kunst verwandelt hatte, ergänzte er das Ensemble um ein neues Gebäude am Standort eines seit über 30 Jahren vernachlässigten Theaters. Geschwungene, unbehandelte Betonmauern trennen das Auditorium vom
Foyer, das für Empfänge genutzt werden kann. Die offenen, weitläufigen und flexiblen Räume mit unterschiedlich angewinkelten Oberflächen sind der ideale, schlichte Hintergrund für Exponate und Filme und reflektieren zugleich das von oben einfallende Tageslicht.

LANGEN FOUNDATION, INSEL HOMBROICH – Neuss, Deutschland, 2004

Das als Insel in einer weitläufigen Auenlandschaft angelegte „Park“-Museum ist einzigartig. Die Schaffung eines Kunsthauses für die von Herrn und Frau Langen zusammengetragene Sammlung asiatischer und moderner Werke hatte Ando dazu inspiriert, Räume unterschiedlichen Charakters zu konzipieren: sanftes Licht und Ruhe für den asiatischen Teil sowie Bewegung mit verschiedenen Lichtquellen für den modernen Teil der Sammlung. „Ich wollte das Langen Museum und die Natur miteinander verschmelzen und in Einklang bringen“, so Ando.

Der Betonquader des  Ausstellungsgebäudes ist von einem größeren Quader aus Glas umgeben.
Tomas Riehle

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Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Frühling 2016

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