Natur & Kunsthandwerk: Die Glasstraße

Die 250 Kilometer lange „Glasstraße“ führt durch die Oberpfalz und den Bayerischen Wald und verbindet 48 Orte mit langer Glas-Tradition. Entlang der Ferienstraße finden sich viele Glasmanufakturen und -hütten – aber auch viele renommierte Glaskünstler

text Gunther Matejka

Die Glasstraße. Das klingt wie aus einem Roman oder aus einem Lied. Dabei verfolgt die 1997 feierlich vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnete, 250 km lange Ferienstraße handfeste Interessen. Zum einen soll sie touristische Anreize für ihre Gäste bieten. Zum anderen soll das kurvig geschwungene Asphaltband den hohen Stellenwert der Glasindustrie in der Oberpfälzer- und niederbayerischen Region verdeutlichen. Immerhin reicht die Tradition der Glasbläser, der Glashütten, -Manufakturen und Glaskünstler bis in das frühe 14. Jahrhundert zurück. Orte wie Neustadt an der Waldnaab, Zwiesel, Frauenau und Bodenmais sind untrennbar mit dem amorphen Feststoff verbunden. Einige Betriebe haben es mit ihren gläsernen Produkten sogar zum Weltmarktführer in ihrem Segment gebracht.
Doch neben der florierenden Industrie bietet die Region zwischen dem oberpfälzerischen Waldsassen und der niederbayerischen Dreiflüsse-Stadt Passau auch Kreativen ein attraktives Umfeld. Etwa Glaskünstlern wie Reinhard Schmid. Als Sohn von Rudolf Schmid, einem renommierten Glasmaler, der mit der „Gläsernen Scheune“ vielleicht eines der spektakulärsten Glasobjekte  geschaffen hat, wurde ihm die Liebe zu dem transparenten Werkstoff in die Wiege gelegt. Dass er Maler werden würde – daran hegte Schmid Junior nie einen Zweifel. Dass er aber in der heimatlichen Region bleiben würde – daran durchaus. „1993 musste ich mich zwischen New York und Viechtach entscheiden“, sagt Reinhard Schmid. Nach einigen Jahren als Marine-Soldat auf See und zehn Jahren in Chicago entschied sich der heute 56-Jährige für den niederbayerischen 8.000-Einwohner-Ort.
Bereut hat Schmid den Entschluss nicht. Aus verschiedenen Gründen. Zum einen habe sich der Bayerische Wald in den letzten Jahren verändert. In der landschaftlich idyllischen Randregion Deutschlands sei der „provinzielle“ Ruf mittlerweile einer lässigen Weltoffenheit gewichen. Zum anderen seien die guten Kontakte zu den Stadt-Oberen extrem hilfreich, wenn es etwa darum geht, ein kulturelles Event auf die Beine zu stellen. „Wir hatten im letzten Jahr eine Ausstellung mit 70 Künstlerinnen aus der ganzen Welt in Viechtach“, sagt Schmid. Sie sei ein voller Erfolg gewesen. Auch weil der Kulturbetrieb durchaus Notiz von dem Spektakel in der Ferienregion nahm. Doch Schmid ist kein Künstler, der seine Motivation aus wohlmeinenden Worten des Feuilletons speist. Sein Antrieb ist: die eigene Kreativität, sein eigener Anspruch. Vielleicht auch sein Ziel, immer besser zu werden, seine Technik immer weiter zu entwickeln.

„Friedenswächter“ von Theo Sellner – die Antwort des Künstlers auf die chinesische Terracotta-Armee

Schuh von Erwin Eisch

1975 kreierte der renommierte Glaskünstler Erwin Eisch aus Frauenau sein bekanntes Werk „Der Schuh“. Das 29 cm lange, 15 cm hohe platinierte Pop-Art-Kunstwerk schuf Eisch aus formgeblasenen und frei geformten Glas. Heute zählt die Arbeit zu den bedeutendsten Exponaten der Internationalen Studioglaskunst im Glasmuseum Wertheim bei Würzburg. (Foto: Thomas Reimann).

HYPERBOREER & VASE von Theo Sellner

Theo Sellner gehört zu den Mitbegründern und prägendsten Künstlern der Studioglas-Bewegung. Der mit zahlreichen Preisen geehrte Glaskünstler aus Regenhütte kombiniert Glas häufig mit anderen Materialien – wie Holz oder Metall. (Fotos: Dionys Asenkerschbaumer, Josef Mitterpleininger).

KAMELIONDAME & CHAMELEON RHAPSODY von Reinhard Schmid

Hinterglasmaler Reinhard Schmid schafft mit Ölfarbe, Bleistift und Aquarellfarbe auf der Rückseite von Glasflächen filigrane und dazu außergewöhnliche Kunstwerke. Der Viechtacher entwickelt die fast in Vergessenheit geratene spezielle Glasmaltechnik „Sous Verre“ seit fast 30 Jahren beständig weiter.

RÄUBERHEIGL-GLASWAND & MÜHLHIASL-GLASWAND in der Gläsernen Scheune

Der Künstler Rudolf Schmid senior verwirklichte mit der „Gläsernen Scheune“ einen transparenten Traum. Eindrucksvoll fängt das gläserne Kunstwerk auf über 2.000 Quadratmetern sagenumwobene Legenden und Mythen des Bayerischen Waldes ein

Längst hat der Stammgast auf internationalen Ausstellungen seinen Stil gefunden. Und wie bei vielen Künstlern, basiert seine Handschrift auf den Grundlagen der alten Meister. Er habe zunächst traditionelle Glasmalerei gelernt, später flossen neue, mitunter revolutionäre Techniken seines Vaters mit ein. „Etwa die Technik, mit Bleistift auf Glas zu arbeiten – meine persönliche Königsdisziplin.“ Eine schöne, alte Technik, wie er sagt, die er weiter entwickeln möchte. Sein Ziel: die zweidimensionale Hinterglasmalerei um eine dritte Dimension erweitern.
Nach zwei Farblasuren lasse sich ein Bild kaum mehr verändern. Ein Fehler und die Arbeit war umsonst. Um das zu vermeiden, setzt Schmid auf penible Vorbereitung. Denn in seinen oft surrealistisch geprägten Bildern steckt enormer Aufwand. Ein Werk benötige zwischen „mehreren Wochen und mehreren Monaten“ konzentrierte Arbeit.
Zu seinen Favoriten zählt das Selbstportrait „Fly with me!“ für die französische Künstlergruppe „Libellule“. Das Werk zeigt seine Inspirationsquellen: Ernst Fuchs, die Wiener Schule, der Surrealismus. „Die Gruppe nennt ihren Stil ‚magischen Realismus‘. Damit kann ich gut leben“, sagt Schmid.

Für Stephan Moder, Projektleiter bei Ostbayern Tourismusmarketing in Regensburg, sind Persönlichkeiten wie Reinhard Schmid ein Glücksfall. Sie setzen in der beliebten Ferienregion weit über die Grenzen Deutschlands hinaus ein funkelndes Kultur-Glanzlicht. Rudolf und Reinhard Schmid, aber auch Christian Schmid, Theo Sellner, Erwin Eisch und die vielen weiteren (Glas)Künstler sind kulturelle Botschafter der ostbayerischen Region, der Glasstraße. Dass viele von ihnen hier beheimatet sind und hier leben und arbeiten, ist für Moder kein Zufall. Neben der langen Glas-Tradition gebe es auch eine fördernde Infrastruktur: „Es gibt viele Galerien“, sagt Moder, „die Zwieseler Glastage, den Glasnachwuchspreis, das Bild-Werk in Frauenau. Es gibt Schulen und Kurse, in denen sie von den Größten der Zunft lernen können.“
Und nach dem Lernen und Arbeiten werden es wohl viele so machen wie Reinhard Schmid:  Er geht im Wald spazieren um die Stille zu genießen oder er fährt mit seinem Motorrad eine Runde in der herrlichen Natur des Bayerischen Waldes. Ganz klar, New York kann da nicht mithalten.
dieglasstrasse.de

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Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Frühling 2016

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