Nick Út
Aus der Hölle nach Hollywood

Nick Út ist der vietnamesische FOTOGRAF, der das weltbekannte und erschütternde Bild des nackten NAPALM-MÄDCHENS aufnahm, das aus seinem brennenden Dorf floh, und kann auf eine Karriere voller Extreme zurückblicken. Nach dem Vietnamkrieg zog er nach Los Angeles, wo er Schnappschüsse von Hollywood-Stars machte. Sein Freund, der amerikanische Fotograf Mark Edward Harris, sprach mit ihm über jenen Tag, der sein Leben veränderte

text Mark Edward Harris

Nach 51 Jahren als Mitarbeiter der Associated Press verließ Nick Út im April 2017 zum letzten Mal die Geschäftsstelle der internationalen Nachrichtenagentur. Am bekanntesten ist er selbstverständlich für sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Foto eines jungen Mädchens, das nach einem Napalm-Angriff durch ein südvietnamesisches Kampfflugzeug, bei dem seine Kleidung und ein Großteil seiner Haut verbrannt wurden, aus seinem Dorf floh.

Nachdem seine Karriere ihn in den 70er-Jahren aus der Hölle des Krieges nach Hollywood führte, lieferten ihm Vorkommnisse wie soziale Unruhen, Erdbeben oder Waldbrände ab und an sein Bildmaterial, viel häufiger aber fand er seine Motive bei den Irrungen und Wirrungen von Prominenten wie O. J. Simpson, Paris Hilton, Michael Jackson und Robert Downey Jr. Der 1951 in Vietnam geborene Fotograf, der mit richtigem Namen Huynh Cong Út heißt, verlor seinen Bruder Huynh Thanh My im Krieg. Huynh Thanh My war ein charmanter Zeitgenosse, der seine Karriere als Schauspieler unterbrach, um der Associated Press Bilder vom Krieg zu liefern. Am 13. Oktober 1965 setzte eine Kugel der Vietcong dem abrupt ein Ende. Mithilfe der Witwe seines geliebten Bruders sicherte Út sich im folgenden Jahr einen Job in der Dunkelkammer der AP. „Ich habe so viel bei meiner Arbeit in der Dunkelkammer gelernt“, erinnert er sich. „Ich entwickelte die Bilder von vielen berühmten Fotografen aus aller Welt. Dabei bemühte ich mich stets, mir den Stil eines jeden Fotografen einzuprägen.“ Innerhalb eines Jahres schoss er bereits selbst Fotos für die AP.

Nick Út wird die Ereignisse des 8. Juni 1972 niemals vergessen. Die Route 1 war schon damals eine wichtige Verkehrsstraße zwischen Saigon und Kambodscha. Während des gesamten Konflikts floss dort immer wieder Blut, aber an diesem speziellen Tag war sie Schauplatz eines der tragischsten Ereignisse des Krieges. Eine Handvoll Reporter und Fotografen waren vor Ort, um über das aktuelle Geschehen zu berichten. Aber es war der 1,58 m große Nick Út, der sich durch seine Aufnahme von dem „entscheidenden Moment“, wie es Henri Cartier-Bresson nannte, von seinen Kollegen abhob. Innerhalb eines Wimpernschlags verloren Menschen in dem kleinen Dorf Trang Bang ihr Leben, für andere veränderte es sich für immer: Das neunjährige Mädchen Phan Thi Kim Phuc wurde zum Symbol für all jenes, das bei diesem Krieg im Verruf stand.
„Am Morgen gab es schwere Kämpfe und Luftangriffe im Dorf. Darum hatten einige Pressevertreter den Ort bereits verlassen, da sie dachten, dass sie genug Material hätten“, erinnert sich Nick Út. „Gegen Mittag schlug dann die Napalm-Bombe ein. Beim Anblick der Explosion dachte ich zunächst, dass keine Zivilisten mehr im Dorf sind, da während der zwei vergangenen Tage schon Tausende geflüchtet waren. Dann sah ich Menschen aus dem Feuerball und Rauch auftauchen. Ich nahm meine Nikon mit einem 300-mm-Objektiv und knipste drauf los.

Als sie näherkamen, griff ich zu meiner Leica M2 mit einem 35-mm-f/2-Objektiv. Zuerst sah ich eine ältere Frau, die ein Baby trug, das direkt vor meiner Kamera starb. Dann sah ich durch den Sucher das rennende nackte Mädchen. Ich dachte: ‚Oh Gott, was ist passiert? Die Kleine hat keine Kleidung an.‘ Ich verschoss fast eine komplette Rolle Tri-x-Film für die Aufnahmen, ehe ich sah, dass sich ihre Haut abschälte. Da hielt ich inne. Ich wollte nicht, dass sie starb. Ich wollte ihr helfen. Ich legte meine Kamera am Straßenrand ab, und wir schütteten Wasser über sie. Sie schrie immer wieder: ‚Nóng quá‘ (zu heiß). Wir standen alle unter Schock.

Ihr Onkel flehte mich an: ‚Können Sie alle Kinder ins Krankenhaus bringen?‘ Ich dachte, sie würde sterben, wenn ich nicht half, also stimmte ich sofort zu. Manchmal kam ich mit meinem Motorrad zu den Einsatzorten, aber zum Glück hat mich an diesem Tag ein Fahrer mit einem amerikanischen Ford hingefahren.“ Nick brachte die Kinder ins Krankenhaus in Cu Chi und fuhr dann weiter nach Saigon.

NAPALM IN VIETNAM

Napalm ist eine während des Zweiten Weltkrieges in den USA entwickelte chemische Waffe, deren gelierter Brennstoff an fast allem haftet, wenn er erst einmal entzündet ist. Er brennt bis zu zehn Minuten und verursacht schwerste Brandverletzungen auf der Haut. Napalm wurde zum Symbol der Brutalität des Vietnamkrieges, in dem der Kampfstoff als abgeworfene Bombe und mittels Flammpanzer eingesetzt wurde. Als Waffe gegen zivile Ziele wurde Napalm 1980 von den Vereinten Nationen verboten.

„Ich legte meine Kamera weg und wir schütteten Wasser über sie. Sie schrie immer wieder: ‚Nóng quá‘ (zu heiß)“
NICK ÚT

„Mit dem besten Dunkelkammer-Experten in Südostasien, Ishizaki Jackson, der auch Redakteur war, entwickelte ich acht Rollen Film. Ich wusste, dass ich sehr wichtige Bilder gemacht hatte. Alle Fotos waren in etwa zehn Minuten entwickelt. Jackson sah sich die Aufnahmen an und fragte: ‚Nicky, warum ist das Mädchen nackt?‘ Ich erklärte ihm, dass sie durch die Napalm-Bomben, Feuer gefangen hatte. Er nahm ein Negativ und fertigte davon ein Bild im 13×18-Format an. Mein damaliger Redakteur Carl Robinson sagte: ‚Oh nein. Tut mir leid. Das Foto können wir in den USA nicht verwenden.‘ Dann kamen Horst Faas, der leitende Fotograf der AP, und der Journalist Peter Arnett vom Mittagessen zurück. Horst sah mein Bild und fragte: ‚Wer hat das aufgenommen?‘ Einer der Redakteure sagte ihm, dass es mein Foto war. Er bat mich, ihm mehr darüber zu erzählen. Dann brüllte er alle an: ‚Warum ist das Foto noch hier? Schickt das Bild weg!‘ Von Saigon wurde es per Bildfunk nach Tokio und dann nach New York gesendet.

Nachdem unzählige Zeitungen Kim Phucs Foto auf der Titelseite druckten, boten Ärzte aus aller Welt ihr Hilfe an. Zum Glück wurde sie fotografiert. Sonst wäre sie gestorben.“
Nick besuchte Kim noch mehrere Male im Rahmen einiger Folge-Reportagen, bevor sie Vietnam 1975 zum Ende des Krieges verließ. 1989 traf er sich mit ihr in Kuba, wo sie Medizin studierte. 1992 wurde Kim und ihrem Ehemann Bui Huy Toan in Kanada politisches Asyl gewährt, nachdem sie auf der Rückreise von ihren Flitterwochen in Moskau auf dem Rückflug nach Kuba bei einem Tankstopp in Neufundland das Flugzeug verließen.
Inzwischen haben sie zwei erwachsene Söhne, und Kim bereist die Welt als Sonderbotschafterin der UN. Die Narben auf ihrem Rücken und ihren Armen sind eine bleibende Erinnerung an jenen furchtbaren Tag in Trang Bang.

Nick hat immer noch Metallstücke in seinem Bein, von den drei Malen, als er im Krieg verwundet wurde. Auch wenn sein Rücktritt als AP-Fotograf 2017 das Ende einer Ära bedeutete, ist es noch lange nicht das Ende einer glanzvollen Karriere. „Ich liebe die Natur und Reisefotos, und jetzt kann ich meine Zeit ungestört beidem widmen“, sagt er. „Im Herzen bin ich ein Naturbursche.“

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Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Früling 2019

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