Nigel Kennedy zurück in Gstaad
Nigel Kennedy kehrt in die geistige Heimat seines Lehrmeisters zurück
von Antony Craig
Zum dritten Mal wird der unorthodoxe Star-Geiger Nigel Kennedy diesen Sommer am spektakulären Gstaad Menuhin Festival in den Schweizer Alpen teilnehmen. Seine ersten Auftritt hatte er dort 2003.
Im Gespräch erklärt der Brite, warum ihm und seiner Band der Auftritt so wichtig ist: „Yehudi Menuhin gab mir ein Stipendium und zahlte zehn Jahre lang für meinen Unterricht und meine Unterkunft. Wenn er mich nicht in diese spezielle Umgebung gebracht und unterstützt hätte, wäre es für mich wahrscheinlich nicht möglich gewesen, mich klassischer Musik so zu nähern.“
Bereits als Schüler hatte Kennedy auch die Gelegenheit, mit dem legendären französischen Jazz-Geiger Stéphane Grappelli zu arbeiten und beide Lehrmeister beeinflussten ihn immens. Dennoch entwickelte der gerne als Enfant terrible beschriebene Violinist sein ganz eigenes Profil: „Viele Studenten werden genau wie ihre Lehrer – fast so, als seien sie am Fließband als eine Art Kopie enstanden“, so Kennedy. „Ich habe gelernt, ein Individuum und absolut einzigartig zu sein. Diese beiden so komplett verschiedenen Vorbilder haben mir geholfen zu realisieren, dass ich weder ein zweiter Yehudi Menuhin noch ein zweiter Stéphane Grappelli werden kann, aber – ganz egal wie gut oder schlecht das ist – zumindest der erste Nigel Kennedy. Und für mich sind Improvisation und Spontanität einfach unglaublich wichtig.“
Im Hinblick auf Menuhin sagt der Geigen-Virtuose: „Yehudi brachte mich auf direktem Weg zurück zu Bach. Sein Lehrer George Enescu war der Mann, der Bachs Solosonaten für Violine wiederentdeckte, und Yehudi war ein bedeutender Bach-Interpret auf dem Niveau von Pablo Casals oder Glenn Gould. Er war ein großartiger Melodiker, und obwohl er technisch nicht brillant war, waren zwei Noten von ihm mehr wert als 1000, die von seinen Zeitgenossen oder der nachkommenden Generation gespielt wurden. Natur und Umwelt inspirierten ihn und von daher ist es nicht überraschend, dass er in Gstaad umgeben von imposanten Bergen lebte. Das jährliche Festival ist eine wunderbare Hommage an ihn.“
„Bach meets Gershwin” – so der Titel von Kennedys Konzert beim diesjährigen Menuhin Festival: „Seit Teenagertagen habe ich mich der Interpretation von Bachs Solosonaten gewidmet und bis vor kurzem habe ich Gershwin gehasst …“, so der Geiger zu seinem Programm. „’Ella & Satchmo Sind Gerswhin’ ist einfach ein kriecherisches Zugeständnis an ein weißes, amerikanisches Mittelklassepublikum. Ich habe diese Lieder allerdings, ganz unbeabsichtigt, immer wieder gehört und mochte sie während meiner Lehrjahre mit Stéphane Grappelli sehr. Gershwins Songs haben so viel Pathos und Charme, dazu einen ganz eigenen Charakter und sind handwerklich so gut gemacht, dass es eine Freude sein wird, sie zu spielen.“
Kennedy ist nur einer von vielen Stars, die das Programm des Festivals schmücken. Die 62. Ausgabe dieses besonderen Musiksommers in der herrlichen Landschaft des Saanenlandes hat mit „Les Alpes“ dieses Jahr ein naheliegendes Motto – und das 2018er Alpen-Programm kann mit einigen „Gipfelstürmen“ aufwarten:
Zu den Höhepunkten gehören die konzertante Aufführung des ersten Aufzugs von Wagners „Walküre“ mit dem Ausnahme-Tenor Jonas Kaufmann sowie Olga Peretyatko and Juan Diego Flórez, ein weiterer brillanter Tenor, die im Festival-Zelt in die Höhen des Belcanto entführen. Nicht minder großartige Konzerte versprechen die Violinistin Janine Jansen sowie die Pianisten Daniil Trifonov, Hélène Grimaud und András Schiff.
Mit am interessantesten ist das erneute Zusammenspiel der unglaublich virtuosen zeitgenössischen Violinistin Patricia Kopatchinskaja mit dem glänzenden Cellisten Sol Gabetta. Auf dem Programm stehen u.a. sechs Weltpremieren, dabei neben Auftragswerken von Peter Eötvös und Francisco Coll auch Stücke, die aus einem Wettbewerb unter Einbindung von Social Media hervorgingen.
Das 62. Gstaad Menuhin Festival findet vom 13. Juli bis 1. September 2018 statt.
Nigel Kennedys spielt am 20. Juli in der Kirche Saanen; Patricia Kopatchinskaja und Sol Gabetta treten am 30. Juli in der Kirche Zweisimmen auf.